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Klimawandel im Theaterland

Auf der Bühne war in norddeutschen Theatern in der zu Ende gehenden Spielzeit kaum Außergewöhnliches, aber viel Solides zu sehen. Hinter den Kulissen brodelte es in etlichen Häusern wegen Personalentscheidungen. Auch die Unterfinanzierung führt weiterhin zu Unmut

Erfolgreicher Protest: Vertreter von sechs kommunalen Theatern fordern im Herbst 2018 vor dem niedersächsischen Landtag mehr finanzielle Mittel von der Landesregierung Foto: Peter Steffen/dpa

Von Jens Fischer

Das Ende vom Anfang einer langen Theatersaison animiert zu müde zufriedenem Nicken. Ja, es war eine Spielzeit wachsender oder fortgesetzter Solidität. Keine Bühne schob sich außergewöhnlich positiv in den Vordergrund, keine enttäuschte generös erweckte Erwartungen, keine fiel unangenehm auf. Trotz empörender Unterschiede in der finanziellen Unterstützung ist kein klarer Spitzenreiter auszumachen, aber ein gut besetztes Mittelfeld.

Okay, das Theater Osnabrück hat ein wenig den Faden verloren und kaum Berichtenswertes produziert. Aber ein Problemfall der Vorsaison, das Staatstheater Braunschweig, entwickelte endlich eine gesunde Spielplanmischung. In Wilhelmshaven setzte die Landesbühne frische Akzente. Das Schauspiel Hannover fasste noch einmal furios die Ära des scheidenden Intendanten Lars-Ole Walburg zusammen. Besonders auffällig, wie das Ohnsorg-Theater sich mutig weiter für eine Zukunft des regionalsprachlichen Volkstheaters aufstellt. Leider unauffällig: Das Deutsche Theater in Göttingen wird überregional weiter unterschätzt.

Deutschlands Norden – ein glücklich Theaterland? Davon kann leider nicht die Rede sein. Gerade hinter den Kulissen gab es außergewöhnlich viel Ärger – und den Mut, diesen auch öffentlich zu machen.

Ute Lemm übernimmt im August 2020 die Intendanz des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters. Als Schauspieldirektor präsentierte sie bereits jetzt den langjährigen Leiter der Niederdeutschen Bühnen in Schwerin und Flensburg, Rolf Petersen – was Ensemble, Dramaturgen und Theaterpädagogen „als Skandal“ werteten und ihren künstlerischen Anspruch ad absurdum geführt sahen.

In einem offenen Brief sprachen sie dem Theatermacher ein „Beheimatetsein in aktuellen theatralen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Diskursen“ ab, zweifelten an seinen Netzwerken, vermissten „selbstverständliche Vertrautheit mit klassischer und zeitgenössischer Dramatik“ – und „vor allen Dingen: einen eigenen künstlerischen Willen“ sowie eine „Vision“ für das Landestheater. Starker Tobak.

Aber keine beispiellose Aktion. Ohne Findungskommission, nur mit dem Ex-Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins als Berater hatte kurz zuvor Kölns Bürgermeisterin mit ihrer Kulturdezernentin den Chef des Landestheaters Salzburg, Carl Philipp von Maldeghem, zum neuen Schauspielchef gekürt. Wie in Schleswig-Holstein: eine Entscheidung im Hinterzimmer für einen als angepasst geltenden, der Politik genehmen Theaterleiter. Künstlerisch keine Koryphäe.

Auf der Bühne Solides: „Hyper! Hyper!“ des Staatstheaters Braunschweig, „Die Nordsee“ der Landesbühne Nord und „Emil und die Detektive“ am Ohnsorg-Theater Fotos: Rüdiger Knuth, Martin Becker, Sinje Hasheider

In Köln rebellierten mit der Schauspielsparte die Medien und die gesamte Kulturszene. Wer wie Maldeghem für braves, populäres Erzähltheater an einer Provinzbühne stehe, könne nicht den weltstädtischen Anspruch der Rheinmetropole genügen, er sei eine „Demütigung für Köln“.

Runtergebrochen auf die Dimension des Landestheaters übernahmen die Schleswiger diese Argumentation. Das Ergebnis in beiden Fällen: Die Auserwählten nahmen ihre Ernennungen nicht an.

War das Vorgehen respektlos? Ja! Musste das öffentlich geschehen? Leider ja. Denn nur so wird nun vielleicht mal nachgedacht, welches Theater warum gewollt wird. Und wenn sich in der Debatte der Nebel lichtet, könnte in einem transparenten Verfahren jemand für den Posten gesucht werden.

In Schleswig ließen die Aufständischen wissen, dass sie Petersens Rücktritt vorm Amtsantritt „zutiefst respektieren und für richtig halten“ für die Zukunft ihres Hauses. Die Suche nach dem passenden Schauspieldirektor läuft.

Ebenso offenbriefig streiten seit anderthalb Jahren am Staatstheater Schwerin die Schauspielsparte, das Orchester und Ballett mit dem Intendanten und Geschäftsführer Lars Tietje. Ein ebenfalls als angepasst, der Politik genehm geltender, ihren Sparkurs nämlich treu umsetzender Theaterleiter. Kein Künstler, ein Verwalter. Ein Wessi am Ossi-Theater. Von Vertrauen vollends befreit, ja, komplett zerrüttet sei das Betriebsklima, heißt es.

Auslöser war Tietjes Drohung, wer beim Theaterball „eigenmächtige politische Äußerungen“ mache, der müsse mit arbeitsrechtlichen Schritten rechnen. In den Jahren zuvor war es bei der Veranstaltung zu kabarettistischen Äußerungen über Sponsoren und Politiker gekommen.

Tietje konnte seither keinen Frieden mehr herbeimoderieren, sondern heizte mit Entlassungen die Stimmung an. Strich Stellen, auch einige politisch ambitionierte Schauspielproduktionen, verkleinerte das Repertoire und muss gegen Zuschauerschwund ankämpfen. Trotzdem wird er seinen Vertrag bis 2021 aussitzen. Erklärte aber zum Saisonabschluss, diesen zumindest nicht verlängern zu wollen. Also nur noch zwei weitere Jahre des Gegeneinanders – bis zum Neuanfang.

Auch das leidige Thema Unterfinanzierung der Theater hat weiter Skandalisierungspotenzial. Lübecks Theaterdirektor Christian Schwandt kündigte an, zum Juli 2020 als Geschäftsführer aufzuhören, weil die Regierung in Kiel die Bühne kaputtspare. Seit Jahren stiegen die Landeszuschüsse im Zuge des kommunalen Finanzausgleichs nur um jährlich 1,5 Prozent, die Personalkosten indes um vier Prozent.

Die Hansestadt Lübeck fühlt sich als Träger nicht in der Lage, das stets auszugleichen, sodass das Geld fortgesetzt im Theater eingespart werden muss, was den Investitions- und Sanierungsstau potenziert, innerbetriebliche Verteilungskämpfe anheizt und das künstlerische Angebot einschränkt. Eine große Wagner-Oper sei bereits jetzt nicht mehr finanzierbar, ließ Schwandt wissen.

Im Kultusministerium heißt es, mehr sei eben gerade haushaltstechnisch nicht drin, aber die Ministerin Karin Prien (CDU) setze sich nun für eine Übernahme der Tarifsteigerungen bis zu 2,5 Prozent ein. Ergebnis: offen. In Lübeck wird derweil eine Extra-Kulturabgabe fürs Theater diskutiert. Ob Schwandts Plan also aufgeht, mit seinem Rücktritt dazu beizutragen, sein Theater nachhaltig besser zu stellen, bleibt fraglich.

„Gar nicht so schlecht“ sehe es hingegen in Niedersachsen aus, meint Regisseurin Antje Thoms. Mit Demonstrationen ihres „#rettedeintheater“-Aktionsbündnisses hatte sie erreicht, dass eine teilweise überlebenswichtige Erhöhung der Zuwendungen für die sieben Bühnen und ein Orchester in kommunaler Trägerschaft um drei Millionen Euro pro Jahr festgeschrieben wurde. Im Gegenzug sollte aber kein Ausgleich für Tariferhöhungen mehr bezahlt werden. Mit öffentlichen Protesten wurde sogleich darauf hingewiesen, das es dem Koalitionsvertrag der Regierung widerspreche.

Für den im Dezember vom Landtag zu beschließenden Haushaltsplanentwurf 2020 besannen sich die Politiker daraufhin kurz vor der Sommerpause noch eines Besseren und fixierten, sich an den Tarifsteigerungen mit einer Kostenübernahme von bis zu 375.000 Euro beteiligen zu wollen.

„Summa summarum haben wir so die Hälfte unserer Forderungen durchbekommen und auch noch eine öffentliche Anhörung unserer Position für September im Petitionsausschuss gewonnen“, resümiert Thoms.

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