: Bittersüße Rache
Magnus Carlsen lässt den Gegnern keine Chance. Er unterliegt nur dem Norwegischen Schachverband: im Streit um die Millionen eines Wettanbieters
Aus Zagreb Hartmut Metz
„Überglücklich“ zeigte sich Wesley So nach seinem zweiten Platz. „Das fühlt sich wie ein Sieg an, wenn Magnus Carlsen mitspielt“, hob der US-Großmeister hervor. Bei der Grand Chess Tour in Zagreb ließ der Schach-Weltmeister aus Norwegen einmal mehr seinen Kontrahenten keine Chance: Der 28-Jährige sicherte sich mit einem vollen Zähler Vorsprung die 90.000 US-Dollar Preisgeld und Platz eins vor So, der sich über seine sieben Punkte diebisch freute.
Während Carlsen sich in seiner uneuphorischen Analyse mehr dem Umstand widmete, dass er auch mal bei einem längeren elf- statt neunrundigen Turnier seine Klasse beweisen durfte, geriet die Konkurrenz ins Schwärmen – dabei hatten im November 2018 schon viele seinen Schwanengesang angestimmt, als der Weltmeister nach zwölf Remis und ohne Sieg erst im Schnellschach seinen Titel gegen Fabiano Caruana verteidigen konnte.
Der Herausforderer aus den USA landete in Kroatien auf Rang vier hinter dem punktgleichen Armenier Lewon Aronjan (beide 6). Das sind Welten, nachdem Caruana zumindest von der Wachablösung in der Weltrangliste träumen durfte.
Dank seines achten Turniersiegs in Folge hat Carlsen den Abstand auf den Weltranglistenzweiten auf stolze 74 Elo-Ratingpunkte ausgebaut. Mit jetzt 2.882 Elo egalisierte das Schach-Genie aus Lommedalen seine eigene Rekordmarke. Ähnlich dominant war einst nur Bobby Fischer, der auf dem Weg zum Weltmeister im „Kampf des Jahrhunderts“ über den Sowjet Boris Spasski 19 Siege in Folge feierte.
Just mit dem Amerikaner verglich ihn Wesley So nach der neuerlichen Demonstration der Stärke. Heutzutage gewinnt zwar keiner mehr 19 Partien hintereinander – aber Carlsen ist nun seit einem Jahr und in 79 Partien ungeschlagen.
Der fünftplatzierte Niederländer Anish Giri (5,5) frotzelt den Weltmeister allzu gerne. Bittersüße Rache nimmt der oft einsilbige Skandinavier am liebsten auf dem Brett. Als der Weltranglistenvierte zum Auftakt in Zagreb eine vernichtende Niederlage gegen den späteren Sieger kassierte, musste Jungstar Giri einsichtig einräumen: „Carlsen ist wie ein Spiegel. Er zeigt einem die eigene Dummheit.“
Anish Giri
Auch ansonsten lässt sich der Weltmeister derzeit wenig gefallen. Voller Euphorie hatte Stavanger sich für die WM ihres populärsten Sportlers beworben. Doch just ihr Superstar torpedierte die Millionen-Offerte. Sein Vater und Betreuer Henrik Carlsen bat die Organisatoren dieser Tage, die Bewerbung zurückzuziehen. Auf Facebook schrieb er: „Im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten bietet ein WM-Kampf im eigenen Land für Magnus absolut keinen Vorteil.“ Der Druck sei in Stavanger einfach zu hoch, begründete Henrik Carlsen und bereitete der Heim-WM damit den Garaus.
Allerdings geht in der Heimat nicht alles nach dem Kopf seines Sohnes. Magnus Carlsen hatte dafür plädiert, dass der Norwegische Schachverband (NSF) eine Offerte eines Wettanbieters aus Malta annimmt, die dem Verband und dem Schach rund 5 Millionen Euro einbrächte – dafür sollte sich die NSF auch dafür einsetzen, die Wettbeschränkungen in Norwegen zu lockern.
Weil der Verband auf stur stellte, bot Carlsen kurzerhand via Twitter den ersten tausend Mitgliedern seines Schachklubs eine kostenlose Mitgliedschaft an, um mehr Delegierte bei der Abstimmung stellen zu können. So entsandte er am Sonntag 35 Getreue zum Verbandstag – doch von den über 140 Stimmberechtigten votierten nur 44 für den Vertrag. Ausgerechnet sein Förderer, Simen Agdestein, führte die Gegner des Plans an: „Ich bin stolz darauf, dass wir Haltung und Integrität zeigen“, sagte der Großmeister und ehemalige Fußball-Nationalspieler nach dem Verzicht auf die Millionen-Spritze.
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