Ausstellung zur Grenfell-Katastrophe: Mahnung der Überlebenden
Zwei Jahre nach dem Großbrand des Grenfell Towers im Londoner Westen erinnert eine Fotoausstellung an das tragische Unglück.
Auf den in Schwarz-Weiß abgebildeten Gesichtern, die größtenteils geradlinig in die Kamera blicken, liest man Ernst, Tiefe und fragende Blicke, die direkt auf die Betrachter*Innen zielen. Einige der abgebildeten Personen umarmen sich oder halten sich gegenseitig fest.
Damit betonen sie den Wert des Moments dieser Aufnahmen, als könnte bereits morgen alles anders sein: Der ältere Mann im Anzug, der seine Ehefrau bei dem Großbrand verloren hat, die Familie deren Teenager-Tochter verbrannte. Geschwister – ein Junge und ein Mädchen – posieren mit ihren Eltern in ihren besten Kleidern. Ein Mädchen, etwa zwölf Jahre alt, steht mit angewinkelten Armen, standfest, so als wäre sie bereit sich der Welt zu stellen und sie zu verändern.
Sensibles Thema
Nicht alle der 223 Überlebenden wurden abgebildet. „Manche wollten nicht vor die Kamera, andere konnten nicht zum Shooting“, erklärt der Fotograf Tom Cockram, der die Aufnahmen machte und die Ausstellung auf eigene Faust und mit eigener Finanzierung durchzog. Die Namen der 72 verstorbenen Opfer stehen separat auf einer Ausstellungswand. Unter den Bildern selber fehlen jedoch Namen „aus Respekt“, meint Cockram, ein Hinweis auf die Sensibilität derartiger Projekte.
Augenzeugen dokumentierten den Brand und die Gemeinschaft mit ihren Smartphones. Manche stellten diese Aufnahmen ins Netz. Journalisten erhalten regelmäßig Bitten, Überlebende der Katastrophe nicht anzusprechen. Diese Bilder hat die „Grenfell Gemeinde“, wie sie Cockram nennt, jedoch selbst arrangiert, zunächst, um 18 Monate nach dem Feuer, ein Video von sich machen zu lassen, in dem die Öffentlichkeit dazu aufgerufen wird, sich ihrer Kampagne Grenfell United anzuschließen. Neben der Unterstützung der Betroffenen und der Aufdeckung der Umstände, die zum Inferno führten, fordern sie Veränderungen in der Feuersicherheit von Hochhäusern zur Vermeidung weiterer Unglücksfälle.
Cockram hatte vor den Aufnahmen nichts mit Grenfell zu tun. Er dreht eigentlich Musikvideos für das Majorlabel Universal. „Als ich gefragt wurde, willigte ich gleich ein, da ich schon immer meine Fähigkeiten für gute Zwecke einsetzen wollte.“ Die Bilder der Ausstellung stammen teils vom Videodreh und von weiteren Fotosessions, nachdem Cockram die Idee zu den Porträtaufnahmen kam. Der 32-Jährige erklärt, dass bei den Aufnahmen bis auf den minimalistischen Hintergrund wenig gestellt war. Das sei auch der filmischen Qualität sei einer Phase-One-Kamera zu verdanken.
Fehlender Feuerschutz
Ort und Zeitpunkt der Ausstellung, erst zum zweiten Jahrestag des Desasters, waren ihm wichtig. „Katastrophen geraten schnell in Vergessenheit, gerade hier im schicken Shoreditch, weit ab vom Grenfell Tower“, glaubt Cockram. Die Ausstellung war ihm auch wichtig, weil er in einer Hochhaussiedlung im Londoner Stadtteil Tottenham aufwuchs. Deswegen half er Grenfell United auch bei Fotoprojektionen auf verschiedenen High Rises, die daraufhin wiesen, dass ihnen trotz der Brandkatastrophe von 2016 bis heute Feuersicherheit fehlt.
Unweit von Grenfell in Westlondon entstehen ständig Kunstwerke, die sich mit dem Unglück beschäftigen. In Wandmalereien und Graffitis dominieren Herzen, Hände haltende Menschen, dazu Worte wie Einheit, Liebe, Wahrheit. Das ist kein Zufall. Karim Mussilhy, der Grenfell-United-Vizevorsitzende kommentiert die Fotoausstellung Cockrams, mit der Hoffnung, die Bilder zeigen, „wie stark die Gemeinschaft sei“. So sei es zwar schon vor dem Brand gewesen, doch, schrieb er zur Ausstellung „seit dem Feuer ist die Gemeinschaft noch stärker zusammengeschweißt, Trauernde, Überlebende und Nachbarn haben sich miteinander getroffen, um sich gegenseitig zu unterstützen.“
Vereint war die Gemeinde auch bei der Andacht zum Jahrestag der Tragödie vor zwei Wochen. Die Überlebende Leanne Mya trug als eine von mehreren AnwohnerInnen den Song „I am blinded by your Grace“ von Grime-Rapper Stormzy vor. Mit dieser Dankeshymne schaffte es die 31-Jährige einen Monat zuvor sogar bis ins Halbfinale der britischen TV-Show „Supertalent“. „Es war das Zusammenkommen der Gemeinschaft, dass mir wieder den Glauben an die Menschheit verlieh“, erklärte sie in einem Interview.
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