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: Tatverdächtiger im Mordfall Lübcke widerruft Geständnis

Der festgenommene Stephan Ernst hat sein Geständnis zurückgenommen. Die Ermittlungen gefährdet das nicht, der Bundesgerichtshof hält ihn weiter für „dringend tatverdächtig“

Das Neue

Im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat der Tatverdächtige Stephan Ernst am Dienstag sein Geständnis widerrufen. Das bestätigte der neue Anwalt von Ernst, Frank Hannig, der taz. Zu den Gründen wollte sich Hannig nicht äußern. Ernst war am Dienstag zu einer Anhörung beim Bundesgerichtshof vorgeladen. Dort blieb der Widerruf vorerst folgenlos: Das Gericht verhängte einen neuen Haftbefehl gegen den 45-Jährigen und erklärte diesen weiter für „dringend tatverdächtig“.

Der Kontext

Ernst soll Anfang Juni den CDU-Politiker Lübcke mit einem Kopfschuss vor dessen Haus im hessischen Wolfhagen-Istha ermordet haben. Die Polizei hatte ihn Mitte Juni festgenommen – weil sie eine DNA-Spur von ihm auf der Kleidung Lübckes gefunden hatte. Vergangenen Dienstag hatte Ernst die Tat schließlich in einem achtstündigen Geständnis eingeräumt und behauptet, als Einzeltäter gehandelt zu haben. Auslöser für den Mord sei die Kritik von Lübcke an Flüchtlingsgegnern im Jahr 2015 gewesen. Ernst war von 1989 bis 2009 mit schweren rechtsextremen Straftaten aufgefallen, bewegte sich in der Kameradschaftsszene und der NPD.

Die Reaktionen

Die Bundesanwaltschaft, die im Fall Lübcke ermittelt, wollte sich am Dienstag nicht zu dem zurückgezogenen Geständnis äußern. Ernsts ursprüngliche, detaillierte Aussagen sind für sie aber weiter verwendbar. Und sie haben sich durch weitere Ermittlungen auch bereits bestätigt: So konnte durch die Einlassung das Waffenversteck von Ernst in einem Erddepot bei dessen Kasseler Arbeitsstelle gefunden werden inklusive der Tatwaffe. Auch konnten zwei mutmaßliche Waffenbeschaffer festgenommen werden. Bleibt Ernst bei seinem Widerruf, könnte sein anfängliches Geständnis in einem Prozess indirekt über die Ermittler eingeführt werden, die den Verdächtigen vergangene Woche befragten.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verteidigte am Dienstag im Fall Lübcke die Sicherheitsbehörden. „Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind“, sagte er. „Unsere Sicherheitsarchitektur stimmt.“ Es gebe keinen Anlass für einen grundsätzlichen Umbau.

Die Konsequenz

Stephan Ernst bleibt in Haft, die Ermittlungen laufen weiter. Die Bundesanwaltschaft prüft immer noch, ob Ernst weitere Mittäter hatte und Kontakte zu rechtsextremen Gruppen bestanden. So gab es ­zuletzt Hinweise, dass er noch bis 2011 in der völkischen „Artgemeinschaft“ Mitglied war, die auch NSU-Helfer anzog. Auch sein mutmaßlicher Waffenbeschaffer, Markus H., kommt aus der Szene.

Auffällig ist auch die Anwaltswahl von Ernst: Als Vertreter suchte er sich zunächst den hessischen Juristen und früheren NPD-Politiker Dirk Waldschmidt. Sein neuer Anwalt, der Dresdner Frank Hannig, bewegte sich wiederum im Pegida-Umfeld. 2017 trat er als Redner auf einer Pegida-Veranstaltung auf. Hannig selbst engagiert sich politisch bei den Freien Wählern in Sachsen.

Konrad Litschko