Die Leiden des jungen Jonas

Die erste deutsche Netflix-Serie geht in die zweite Staffel („Dark“, zweite Staffel, acht Folgen, ab Freitag)

Für Jonas kommt es jetzt noch dicker Foto: Netflix

Von Jens Müller

Es geht los, wie es angefangen hat. Großdenker-Zitat muss sein. Statt von Einstein stammt es diesmal von Nietzsche: „Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ Eineinhalb Jahre ist es her, dass Netflix mit der damals heiß ersehnten ersten deutschen Netflix-Serie „Dark“ aufwartete. Zeitreise-Mystery aus dunklem Wald und düsteren Höhlen. Seither ist viel Serienzeit ins Land gegangen, hat es die zweite („Dogs of Berlin“) und eine dritte deutsche Net­flix-Serie („How to Sell Drugs Online (Fast)“) gegeben. Jetzt also „Dark 2“.

Die Kamera folgt einem dunklen, engen Tunnel, passiert eine eiserne Pforte mit der Inschrift: „Sic mundus creatus est“. Zwei Männer haben schwer am Ausbau des Tunnels geschuftet. Raunt der eine: „Der Anfang und das Ende. Eine seltsame Vorstellung, dass beides das Gleiche sein soll.“ Raunt der andere zurück: „Sic mundus creatus est. Und so ist die Welt erschaffen.“ Kurz danach wird der andere den einen töten. Viel wichtiger aber ist, dass „Dark“ hier in den beiden ersten Minuten gleich schon wieder genau das praktiziert – zelebriert hat, das einem in der ersten Staffel, Pardon: so auf den Wecker ging.

Diese Behauptung von Bedeutung. Diese Redundanz – Penetranz, mit der einem alles immer mehrfach aufs Brot geschmiert wurde. Und dieses ständige Geraune, nur zum Beispiel: „Es gibt keinen Zufall. Jeder Weg ist vorherbestimmt. Alles passiert, wann es passieren muss. Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort.“ – „Die Dinge liegen für dich jetzt noch im Verborgenen. Aber sie werden ans Licht kommen, Stück für Stück. Wenn die Zeit dafür gekommen ist.“ – „Alles hängt zusammen. Du. Ich. Vergangenheit. Und Zukunft.“

Die Zuständigkeit für das Geraune liegt, nicht immer, aber oft bei Mark Waschke. Der muss schon im Berliner „Tatort“ regelmäßig den Miesepeter geben, aber wie sein Ausdruck hier als Noah (in schwarzer Pastorenkluft eine Art Wiedergänger Robert Mitchums in „The Night of the Hunter“) auf die Bandbreite zwischen dämonisch und diabolisch beschränkt wird.

In „Dark 2“ wird der schon in Staffel 1 erlesene Cast noch erweitert. Da spielt dann Winfried Glatzeder den in Staffel 1 von Oliver Masucci dargestellten Polizisten Ulrich Nielsen, der auf der Suche nach seinem verschwundenen Sohn Mikkel aus dem Jahr 2019 ins Jahr 1953 gereist war – immerhin der Handlungsort, das fiktive Örtchen Winden bleibt immer gleich –, um nun also im Wege der natürlichen Alterung im Jahr 1987 angekommen zu sein.

Zu den drei Zeitebenen der ersten Staffel (das heißt: plus jeweils ein Jahr) kommen in der Fortsetzung noch die Jahre 1921 und 2053 (ein 33-Jahres-„Zyklus“ nach der atomaren Apokalypse am 27. Juni 2020) hinzu, in denen mitunter dieselben Personen, dargestellt von verschiedenen Schauspielern (Sebastian Hülk und Christian Pätzold als Polizist Egon Tiedemann, der Nielsen 1954 und 1987 zur Kreator-Platte „Pleasure to Kill“ befragt), parallel agieren. Na, kann der Leser noch folgen? Das alles immer auseinanderzuhalten ist nämlich trotz der Redundanzen vor allem eines: anstrengend. Ganz furchtbar anstrengend.

Die neuen Leiden des jungen J.: In Staffel 1 hatte Jonas (Louis Hofmann) herausfinden müssen, dass der verschwundene, eigentlich viel jüngere Mikkel sein Vater ist. Jetzt kommt es noch dicker. Endlich ist er (mithilfe des Atomreaktors) aus dem Jahr 2053 ins Jahr 1921 gesprungen (wo er gar nicht hinwollte), da hält Folge 4 für ihn einen veritablen „2001: A Space Odyssey“-Moment bereit. Jonas trifft auf Noahs Chef, den zeitreisenden Oberbösewicht Adam (Dietrich Hollinderbäumer) – optisch eine bemerkenswerte Mischung aus Fantomas mit schlimmer Akne-Vergangenheit, Edgar Wallace’ „Der Frosch mit der Maske“ und „The Thing“ aus dem Marvel-Comic „Fantastic Four“. O-Ton Adam: „Das Reisen geht nicht spurlos an einem vorbei.“

Das ist jedenfalls nicht komisch gemeint. So zahlreich die Zeitebenen sind, so wenig ist an „Dark“ irgendetwas doppelbödig, subtil oder gar ironisch. Und das wird sich auch in der angekündigten finalen dritten Staffel garantiert nicht mehr ändern.