Kito Nedoschaut sich in Berlins Galerien um:
Was hat es mit Ausstellungstitel „Absorbers“ auf sich, den die Künstlerin Antonia Hirsch ihrer Schau bei Decad verpasst hat? Im Deutschen würde man wohl „Aufsauger“ sagen. Das dazugehörige Verb „to absorb“ hat verschiedene Bedeutungen: etwas aufnehmen, neutralisieren, verkraften, abfangen oder verschlucken. Tatsächlich sind die ausgestellten Drucke und Skulpturen der Berliner Künstlerin von den schalungsartigen Kunststoff-Verpackungselementen inspiriert, welche Flachbildschirme im Inneren der Kartonboxen beim Transport vor Beschädigungen schützen, nüchterne technisch-logistische Formen, die beinahe die Anmutung von antiken Skulpturen oder futuristisch-architektonischen Modellen gewinnen (bis 28. 6., Di.–Sa. 14–19 Uhr, Gneisenaustr. 52).
Das große, seltsame Ruinen-Thema greift auch Renata Kaminska mit ihrer Skulpturengruppe „Phantom Monument II“ auf, die auf dem kleinen, an der Ecke Almstadtstraße und Rosa-Luxemburg-Straße befindlichen Rasenstück installiert ist. Aus fünf klobigen Betonsockeln ragt jeweils eine Art Rohrstumpf heraus. Das von L40 – Verein zur Förderung von Kunst und Kultur am Rosa-Luxemburg-Platz e. V. unterstützte Projekt nahm seinen Anfang in einer Recherche der Künstlerin zu Rosa Luxemburg, ausgelöst durch eine biografische Überschneidung. Wie Luxemburg ist auch Kaminska in der polnischen Stadt Zamość im südöstlichen Teil Polens geboren. Bei ihrer Spurensuche stieß Kaminska immer wieder auf getilgte und totgeschwiegene Geschichte. So wurde etwa im März 2018 an einem Haus in Zamość eine Gedenktafel entfernt, die an Rosa Luxemburg erinnerte. Dies entspricht dem von der rechtskonservativen Regierungspartei PiS bereits 2016 beschlossenen sogenannten Dekommunisierungsgesetz, dass die polnischen Städte dazu auffordert Denkmäler aus der Zeit des Kommunismus zu entfernen (bis 30. 6., Tag und Nacht, neben dem Haus Almstadtstr. 52).
Auf der anderen Seite des Platzes sind in der Galerie Nagel Draxler die Leinwände von Stefan Müller zu sehen. Den Ausstellungstitel „Schlendern im Verweilen“ könnte man auch als freundlich-vertrackte Aufforderung des Künstlers verstehen. Mich erinnert Müllers Kunst an ein Graffiti, das vor langer Zeit eine Fassade in der Torstraße zierte: „Soft Résistance“. Es ist eine besondere Art von sanften Widerstand, welche die ausgestellte Kunst auszeichnet. Wie Schwammwesen scheinen die Bilder alles Prahlerische, Aufmerksamkeitsheischende und Auftrumpfende aufzusaugen und in ihrem Inneren zu neutralisieren (bis 15. 6., Di.–Sa.11–18 Uhr, Weydingerstr. 2/4).
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