piwik no script img

Ein Professor gewinnt die Wahl

SOMALIA Nach 21 Jahren ohne Zentralregierung wird Hassan Sheikh Mohamud überraschend neuer Präsident des Landes. Er ist ein politischer Neuling

VON BETTINA RÜHL

NAIROBI taz | In ihren Kommentaren im Internet haben sich die Somalier geradezu euphorisch geäußert. Mit dem ehemaligen Universitätsprofessor Hassan Sheikh Mohamud haben sie seit Montag einen neuen Präsidenten, den ersten legitimen seit mehr als 20 Jahren. Das allein war für viele ein Grund zu feiern, und so waren am Montagabend in den Straßen von Mogadischu Freudenschüsse zu hören, nachdem der 56-Jährige mit mehrstündiger Verspätung als neuer Staatschef vereidigt worden war.

Der bisherige Dekan einer privaten Universität in Mogadischu ist ein politischer Neuling, der bei der Wahl als Außenseiter galt. Fast alle Beobachter hatten erwarteten, dass der bisherige Übergangspräsident Sheikh Sharif Sheikh Ahmed die Wahl gewinnen würde, obwohl er als ausgesprochen korrupt und wenig effektiv gilt. Viele politische Posten wurden in den vergangenen Monaten verkauft. Vor allem Sheikh Sharif Sheikh Ahmed versuchte offenbar, seine Wiederwahl durch Stimmenkauf zu sichern. Dann aber sei der Wahlvorgang überraschend transparent gewesen, lobte Emmanuel Kisangani vom Institute for Security Studies in Nairobi. Der am Ende doch noch geregelte Ablauf der Wahl ist für die Zukunft Somalias von großer Bedeutung. Denn die Machtansprüche der unterlegenen Kandidaten, die Milizen mobilisieren könnten, um ihren Einfluss zu sichern, gelten als eine der größten Herausforderungen für den neuen Präsidenten. „Ich war beeindruckt, wie geregelt und strategisch gewählt wurde“, sagt auch Annette Weber von der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik.

Die Wahl Hassan Sheikhs schließt den von der UNO gestützten Aufbau staatlicher Institutionen ab, zu dem auch die Wahl eines neuen Parlaments und eines neuen Parlamentspräsidenten gehörte. Der Prozess fand mit mehrwöchiger Verzögerung statt. Das Mandat der bisher amtierenden Übergangsregierung lief am 20. August aus.

Hassan Sheikh studierte vor dem Krieg an der Universität von Mogadischu und in Indien. Trotz des Bürgerkriegs blieb er die meiste Zeit in Somalia. In den 1990er Jahren arbeitete er für mehrere humanitäre Organisationen, darunter auch das UN-Kinderhilfswerk Unicef. 1999 gründete er in Mogadischu das Institut für Management und Administration, das später zu einer privaten Universität wurde.

Der neue Präsident gilt als moderat und signalisierte, er sei zu Gesprächen mit Mitgliedern der islamistischen Shabaab-Miliz bereit. Gleichzeitig machte er aber deutlich, dass er jeden Extremismus ablehnt. „Wenn er es schafft, die gemäßigteren Shabaab-Mitglieder von dem harten Kern zu trennen, der eng mit al-Qaida zusammenarbeitet, könnte das durchaus zu einer Stabilisierung beitragen“, meint Annette Weber. „Dialog ist der einzig gangbare Weg“, erklärt auch der Somalia-Experte Helmut Hess von Brot für die Welt. „Eine militärische Lösung kann es nicht geben“.

Eine positive Überraschung war bereist der neue Parlamentspräsident: Mohamed Osman Jawari ist ebenfalls ein Intellektueller, der sich an dem Bürgerkrieg in Somalia nicht beteiligt hat. Stattdessen arbeitete er in den vergangenen Jahren an der Ausarbeitung der neuen Verfassung mit.

Vor dem neuen Präsidenten liegen viele alte Probleme. In den 21 Jahren ohne Zentralregierung sind regionale Machtzentren entstanden, deren Führer sich der neuen Regierung nicht unbedingt unterwerfen wollen. Die Shabaab-Milz kontrolliert weite Bereiche des Landes und führt in der Hauptstadt einen Guerillakrieg mit Selbstmordanschlägen und gezielten Morden. Die staatlichen Institutionen müssen erst noch aufgebaut werden, und auch die Wirtschaft liegt nach Jahren des Krieges am Boden. Aber zum ersten Mal seit vielen Jahren scheint es möglich, dass sich die Situation in Somalia zum Besseren wendet.

Meinung + Diskussion SEITE 12

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen