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Schwierige Suche nach Dickhäutern

Dem „Elefant im Raum“ gilt ein Projekt von Kathrin Röggla,Mark Lammert und Eran Schaerf in der Akademie der Künste

Mark Lammert „Kopf eines Elefanten“ Foto: Akademie der Künste

Von Sophie Jung

Elefanten sitzen auf Tischen im Familienesszimmer, und sie breiten sich auf den Bänken politischer Parlamente aus. Die NS-Geschichte der Großeltern, von der alle wissen, die blutige Herkunft afrikanischer Bronzefiguren in unseren Museen, von der lange niemand sprach, sind solche unsichtbaren Dickhäuter. Ist in der englischen Sprache ein Elefant im Raum, an elephant in the room, wiegt etwas schwer zwischen den Anwesenden, aber es bleibt unausgesprochen.

In der Akademie der Künste steht auch so ein Elefant, den man nicht sehen kann. Lediglich ein paar karge Wände schob der Bühnenbildner und bildende Künstler Mark Lammert ins Rauminnere des lichten Ausstellungsaals. Auf einem Podest stehen verlassen ein Stuhl und ein Tisch. Zur Eröffnung las darauf Schauspielerin Angela Winkler aus George Orwells „Einen Elefanten schießen“, nun ist er leer. Die Autorin Kathrin Röggla hat in Zusammenarbeit mit Lammert und dem israelisch-deutschen Autor, Hörspiel- und Filmemacher Eran Schaerf diese minimale Installation konzipiert. Man meint in diesem funktionalen Arrangement den Backstagebereich einer Bühne zu betreten.

Verkabelungen spannen sich über Boden und Wände, als wandelte man entlang der Rückseite einer Schauseite. Was passiert im Betriebsraum kurz vorm Auftritt? Etwas Schweres, wie es Alexander Kluge im Video, das im Hintergrund abspult, über die Gravitationskraft von Elefanten in die Aufmerksamkeit rückt.

Röggla, Lammert und ­Schaerf vermitteln diese unwiegbare Schwere durch Text. In gedruckter Form liegt dieser zum Mitnehmen auf einem Stapel. Und gesprochener Text tönt aus sichtbaren und versteckten Lautsprechern, aus Winkeln und Nischen in den Raum und spannt sich zum Netz der Worte zusammen, die sich letztlich um das Unsagbare drehen.

Im Treppenaufgang vernimmt man wie beiläufig Sätze, die von einem Bewerbungsgespräch stammen könnten: „Sie sprechen aber ganz akzentfrei für jemanden aus Burkinofasistan, also für jemanden aus Mazedonaland.“ Eine Korrektheit des Zitats aus der Soundarbeit von Alvaro Garcia de Zuniga kann hier nicht garantiert werden, denn der vermeintliche Personaler verhaspelt sich mit Verve in weitere Zusammenwürfeleien von Ländernamen. Ganz wie es die Verunsicherung auslöst, sind wir einmal mit unseren eigenen Vorurteilen gegenüber Fremden konfrontiert und sehen mitten im Gespräch langsam den Elefanten vor unserem inneren Auge auf und ab wandern: „Äh, also Afghanistanirien.“

In einer anderen Soundarbeit bedient sich Kathrin Röggla sprachlicher Werkzeuge, um die Dinge deutlich zu bezeichnen, eben doch das Unaussprechbare auszusprechen. Trotz Präzision, die ihr der linguistische Apparat bietet, scheitert sie an einem Widerstand inhaltlicher Klarheit – und artet mit ihren Wortschöpfungen zu einer wunderbaren Beklopptheit aus: „der Lamenta“, „der Vorberappelativ“, „der Mühsens“, „das Von-Hier-Verjagt“.

GesprochenerText tönt aus unsichtbaren Lautsprechern

Es ist schließlich Eran ­Schaerf, der in seiner Audioperformance (bis zum 2. Juni täglich um 17 Uhr) einen Elefanten aufsuchen geht. Er findet ihn in einer tiefen politischen Wunde Deutschlands: der historischen Verantwortung unsere Landes gegenüber dem Staat Israel. Diese bringt viele Menschen in einen moralischen Konflikt, wird einmal Kritik an der aktuellen Politik Israels laut, wie Schaerf sie vor allem in der Arbeit von Breaking the Silence erkennt, die Unrechtmäßigkeiten im israelischen Militär aufdeckt. „Israel hat das jüdische Trauma und den Holocaust zu einer nationalen Strategie erhoben, die zur Rechtfertigung von Untaten dienen soll. Wenn die Stimmen von Breaking the Silence diese Politik infrage stellen, rütteln sie auch an jenem deutschen Elefanten“, behauptet Schaerf und sagt das Unaussprechliche.

Inspierende Worte

„Von Max Weber weiß man“, beginnt Alexander Kluge einen Text in der ausliegenden Publikation, „dass er die Wahrheit gelegentlich nicht in den Tatsachen, sondern in der Sprache suchte. Eine inspirierende Wortwahl löste Klarsicht aus.“ Inspirierende Worte fand Joseph Beuys in seiner Rede zu Semesterbeginn 1972 an der Düsseldorfer Kunstakademie nicht. Er fand nur ein „Öhh“, das er vor versammelten Honoratioren immer weiter zu einem röhrenden „Öhh, ööhh“ verlängerte. Ein kurzer Ausschnitt von Andreas Veiels Beuys-Film mit genau dieser Rede flimmert auf einem kleinen Bildschirm. Und wenn auch Beuys hier nur einen aussagelosen Klang aus seiner Kehle drückte, so fand er darin doch den klarsten Ausdruck für eine Debattenkultur in der damaligen BRD – nämlich ein dumpfes, unterdrücktes Nichts. Den Elefanten hatte er damit wohl gefunden, als Professor wurde er prompt entlassen.

Kathrin Röggla: Der Elefant im Raum“. Ausstellungsprojekt mit Performance, bis 2. 6., Akademie der Künste, Hanseatenweg

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