Die Wahrheit: Die deutsche Umwolfung
„Bild“ und AfD haben sich auf den Wolf als neuen Feind eingeschossen. Wölfe und Flüchtlinge haben ja auch jede Menge gemein.
A lso, wenn mir in der ostdeutschen Provinz ein Rudel Wölfe oder eine Gruppe menschlicher Ureinwohner begegnete – ich wüsste ja, vor wem ich mich mehr fürchten würde. Denn während die Wölfe bislang geradezu undeutsch friedlich gegenüber Menschen auftreten, nimmt die Zahl rechtsextremer Gewalttaten in den ostdeutschen Schurkenstaaten beharrlich Spitzenplätze ein.
Dennoch titelte Bild: „Angst in Brandenburger Seniorenheim: Wolf reißt drei Therapie-Schafe“. Therapie-Schafe – die ostdeutsche Antwort auf den Fachkräftemangel? Jedenfalls sind sie hin, und da macht man sich halt so seine Gedanken: „Pflegeheim-Chef: 'Kann ich sicher sein, dass der Wolf noch zwischen einem Bewohner im Rollstuhl und einem Stück Wild unterscheidet?“ Nein! Denn die Verwechslungsgefahr liegt auf der Hand. Wie oft denkt man im Dusel: „Oh, ein Hirsch“, und dann ist es doch wieder nur die mit ihrem Rollator über den Weg brummende Oma von nebenan.
Kaum hat man sich von dem Schreck erholt, liest man in der Bild diesmal aus Schleswig-Holstein: „Jette (8) weint um ihre Lieblinge: Der böse Wolf hat meine Schafe gefressen“, daneben das Foto des traurig dreinschauenden Mädchens, das ein totes Schaf streichelt. Gibt es in Schleswig-Holstein eigentlich keine Meerschweinchen mehr? Vielleicht sollte man Jette schonend darauf vorbereiten, was eigentlich mit den zwei Millionen Artgenossen ihrer Lieblingsschafe geschieht, die jedes Jahr in Deutschland gefressen werden. Kleiner Tipp: Der Wolf war’s nicht.
Doch nicht nur die Bild hat dem Wolf den Krieg erklärt, sondern auch die AfD. „Das Land unserer Väter“ wünscht sich Alexander Gauland zurück, nur halt bitte ohne Wolf. Obwohl der ja eigentlich einst von hier vertrieben wurde und damit ein bisschen so etwas ist wie die Erika Steinbach der deutschen Fauna.
Trotzdem arbeitet die AfD sich geradezu obsessiv am Wolf ab. So beklagte ihr Abgeordneter Hilse vor dem Bundestag: „Die Ansiedlung der Wölfe und die Migrationskrise zeigen viele Parallelen.“ Ganz klar: „Mittlerweile wissen wir, der überwiegende Teil [der Flüchtlinge] verfügt nicht über die in Deutschland erforderliche Bildung und lebt vom Sozialstaat. Und genauso läuft es beim Wolf.“
Einerseits stimmt das sicherlich: Manch eingewanderte Wölfe mögen gewisse Bildungsdefizite aufweisen. Aber andererseits leben sie ja nun gerade nicht vom Sozialstaat, sondern bringen ihre Schäfchen selbst ins Trockene. Trotzdem ist die Diagnose klar: erst Umvolkung, dann Umwolfung. Kein Wunder, dass die Deutschen da allmählich etwas übellaunig werden. Weshalb die Bild schon titelt: „Der Wolf ist der neue Diesel.“
Das allerdings dürfte eine ziemlich gute Nachricht für den Wolf sein. Denn dann muss er sich an keinerlei Grenzwerte halten und kann am Ende so viele Leute um die Ecke bringen, wie er will – wenn er tatsächlich der neue Diesel ist, wird ihm in Deutschland garantiert rein gar nichts passieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
BSW-Gründungsversammlung in Bayern
Es geht um Selenskyj, nicht um Söder