Unerträgliche Wahlwerbung und Provokation, aber doch kein Protest

Die AfD plakatiert im polnischen Zgorzelec. Angesprochen werden sollen WählerInnen in der deutschen Schwesterstadt Görlitz. Dort finden am 26. Mai auch Kommunalwahlen statt. Für viele Polen ist das schier unerträglich

„Sie spucken den noch Lebenden und allen, die sich an den Zweiten Weltkrieg erinnern, direkt ins Gesicht. Sie treten das Gedenken an unsere Toten auf dem Soldatenfriedhof mit Füßen!“

Stanisława Kuzio-Podrucka, Bewohnerin von Zgorzelec

Von Gabriele Lesser, Warschau

„Dass die nationalistische Alternative für Deutschland ausgerechnet in der polnischen Grenzstadt Zgorzelec ein Wahlplakat aufhängt, soll wohl eine Provokation sein“, vermutet Professor Rafal Pankowski von der Warschauer Privatuniversität Collegium Civitas.

„Bislang ist die AfD im Stadtrat von Görlitz auf der deutschen Seite der Grenze nicht vertreten. Da hofft der Kandidat mit dem polnischen Namen Poplowski wohl auf die Stimmen derjenigen Polen, die in Zgorzelec arbeiten und im sächsischen Görlitz wohnen.“ Am 26. Mai, wenn in Deutschland und Polen Wahlen zum Europaparlament stattfinden, stimmen die Görlitzer auch über die Kandidaten für den Kreistag und den Stadtrat ab.

Das große Wahlplakat an der Armia-Krajowa-, Poniatowski- und Batory-Straßen-Kreuzung ist schon von Weitem zu sehen. Jeder sieht es, der Richtung Görlitz fährt. Martin Poplawski wirbt dort in deutscher und polnischer Sprache für die Alternative für Deutschland. So steht dort auf Polnisch „Wenn du in Görlitz wohnst, hast du dort Stimmrecht“, und direkt unter seinem großen Foto und dem Namen Poplawski:: „Dein [Kandidat] im Stadtrat und Kreistag von Görlitz“. Direkt gegenüber befindet sich die Grundschule, die nach dem berühmten jüdischen Kinderarzt und Pädagogen Janusz Korczak benannt ist. Im Warschauer Ghetto kümmerte es sich um die Kinder im jüdischen Waisenheim. Im Sommer 1942 ging er mit ihnen den letzten Weg bis zum Umschlagplatz und fuhr dann auch mit dem Zug ins Vernichtungslager Treblinka.

Die Nichtregierungsorganisation Nigdy Wiecej (Niemals wieder), deren Gründer und Vorsitzender Rafal Pankowski ist, bekam Zuschriften empörter Polen aus der Europastadt Görlitz/Zgorzelec. „Das zeigt, wie sensibel das deutsch-polnische Verhältnis nach wie vor ist. Polen hat so sehr unter den Nazis gelitten, dass eine Partei wie die AfD in Polen nicht öffentlich auf­treten sollte. Wir legen zwar keinen offiziellen Protest ein, miss­billigen die AfD-Wahlkampagne in Polen aber ausdrücklich.“

Wenn es nach dem AfD-Bundestags-Abgeordneten Alexander Gauland ginge, „haben [auch] wir das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“.

Aber auch der aus Oberschlesien stammende AfD-Kandidat Poplawski scheint vergessen zu haben, wie empfindlich seine ehemaligen Landsleute auf deutsch-nationalistische Parolen reagieren. So assoziiert die Polin und Bewohnerin von Zgorzelec Stanisłlawa Kuzio-Podrucka mit der AfD in Görlitz/Zgorzelec und deren Wehrmachts-Begeisterung vor allem den großen polnischen Soldaten-Friedhof mit über 3.000 Gräbern in Zgorzelec.

Dass eine deutsche „Neonazi-Partei“, wie Kuzio-Podrucka die AfD nennt, es wage, im polnischen Zgorzelec für sich Werbung zu machen, sei unerträglich: „Sie spucken den noch Lebenden und allen, die sich an den Zweiten Weltkrieg erinnern, direkt ins Gesicht. Sie treten das Gedenken an unsere Toten auf dem Soldatenfriedhof mit Füßen!“

Zudem erinnere sie sich noch gut an die AfD-Kampagne zur Neuverhandlung der Grenzfrage. „Damals ging es vor allem um Breslau, wenn ich mich recht entsinne. Das ist doch alles unfassbar! Wir wollen die AfD auf gar keinen Fall hier in Polen, und schon gar nicht in Zgorzelec.“