: Warum bekomm ich’s immer wie bestellt
Müssen Popsänger uns sagen, wo’s langgeht? Und was hat das mit Gertrude Stein zu tun? International Music spielten im Lido
Von Zora Schiffer
Obwohl Avantgarde und Dada mittlerweile auseinandergenommen und durchanalysiert sind, kann auch heute Unsinn Menschen noch in die Verzweiflung treiben. So zum Beispiel am Freitag im Lido beim Konzert von International Music. Mit ihrem gefeierten und ausgezeichneten Debütalbum „Die besten Jahre“ spielten sie das dritte Berlin-Konzert. Die drei Wahlruhrpottler mit Schnauzbart, Hawaiihemd und Vokuhila (zum Glück nicht alles an einer Person) bedienen sich großzügig in der Musikgeschichte. Da wären Drums und monoton gehauchte Gesänge von Velvet Underground, Gitarrenmelodien von Joy Division, ein bisschen The Jesus and Mary Chain, F.S.K. und viele weitere zu nennen. Zusammen ergibt das eine eigene Art Indie-Rock, auf die anscheinend gewartet wurde. Es ist schön, zu diesen teils bekannt klingenden Riffs zu tanzen und doch neue Musik zu hören. So achtziger, so 2019, so deutsch, ein bisschen international.
Die beiden Sänger Peter Rubel und Pedro Goncalves Crescenti spielen selbst auch in ihrer Vorband, den Düsseldorf Düsterboys. Deren Musik ist ähnlich, aber gefärbt mit einer zum Schunkeln anregenden Heimatnote. Passend dazu Zeilen wie „Und bist du aus der Haut gefahr’n, dann hör dir mal die Beatles an oder du gehst nach Teneriffa“. Die beiden kokettieren mit dem Publikum, machen Witze, wirken aber auch noch ein bisschen schüchtern.
International-Music-Drummer Joel Roters spielt solange Kicker im Vorraum. Die Stimmung ist sehr entspannt und freundlich im Lido.
Wie zuvor bei den Düsterboys, singen auch bei International Music viele mit und es ist eine Fanbase spürbar. Denn eigentlich ist der Gesang eher schwer verständlich, was am Genuschel von Peter Rubel liegt, aber auch am Sound. Die deutschsprachigen Texte, oft doppelstimmig gesungen, wirken zunächst völlig sinnentleert. LiebhaberInnen von direkter Romantik oder auch dem politisch engagierten Liedtext werden wahnsinnig, wenn es heißt: „Wo der Pfeffer wächst, da muss ich hin. Ist denn mein Tambourin mehr Wert als deine Trommel? Und war die Trommel teuer und wenn ja, wie viel?“
Ein paar ZuhörerInnen schauen sich fragend an und scheinen wissen zu wollen, ob da noch was kommt. Irgendwie ist der Drang nach Gesellschaftskritik so groß, dass eben nicht sofort auffällt: Wer will, kann in den Texten eine Kritik an genau dieser Haltung finden. Nämlich an der ständigen Suche nach klaren Aussagen. So zum Beispiel in „Mama, warum?“, wenn es heißt: „Das Restaurant war wunderschön gelegen, aber wunderschön war mir nicht genug. Mama, warum bekomm ich’s immer so, wie ich es bestellt hab?“ Wer sich weiter auf die verzweifelte Suche nach einer subtileren Doppelbödigkeit macht, wird fündig.
„Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich abends Rosen gieße“ heißt es in „Farbiges Licht“. Ist das eine Kritik an starren, heteronormativen Rollenbildern? Diese versuchen die Sänger vielleicht auch zu durchbrechen, wenn sie sich während der Show zärtlich umarmen und küssen. Mit etwas gutem Willen könnte die Zeile auch eine Anspielung auf die berühmte von Gertrude Stein sein: „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.“ Die Gedichtzeile ist heute berühmt als avantgardistisches Spiel mit dem Sinn. Die scheinbar sinnlose Wiederholung gilt als sprachlicher Ausdruck der Flüssigkeit der Zeit im Kubismus und als klangliche Anspielung von „a rose“ auf „Eros“. Erotik und Rosengießen? 1913 war dieser Satz wahrscheinlich für viele einfach nur: Nonsens.
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