Fotografie-Ausstellung in Berlin: Ein Urknall namens FiFo
„Bauhaus und die Fotografie“ ist das Thema einer Ausstellung. Es geht mehr um Fotografiegeschichte als um Bauhaus-Historie.
Wenn Sie sich für eine der beiden Ausstellungen entscheidenden müssten, weil Sie wenig Zeit haben: Würden Sie in „FiFo und die Folgen“ gehen? Oder doch lieber in „Bauhaus und die Fotografie“?
Selbstverständlich besuchten Sie die Ausstellung mit dem Bauhaus. Denn das wird gerade 100 Jahre alt, war eh unheimlich wichtig und ist bis heute schick und angesagt geblieben – vor allem aber: Sie kennen es. Von einer „FiFo“ dagegen haben Sie vermutlich noch nie gehört.
Es sei denn, Sie besäßen fundiertes Fachwissen in der Geschichte der Fotografie. Dann wüssten Sie, dass die im Jahr 1929 in Stuttgart stattgefundene Ausstellung „Film und Foto“, abgekürzt FiFo, entscheidend dafür verantwortlich war, die Fotografie als ernstzunehmend Kunstform zu etablieren, und sich als prägend für die künstlerische Avantgarde der folgenden Jahrzehnte erwies.
Klingt spannend? Aber doch lieber Bauhaus? Zum Glück müssen Sie sich nicht entscheiden, denn es gibt nur eine Ausstellung. Sie heißt „Bauhaus und die Fotografie. Zum Neuen Sehen in der Gegenwartskunst“ und ist im Museum für Fotografie in Berlin zu sehen, müsste allerdings eher „FiFo und die Folgen“ heißen. Denn tatsächlich spielte die Fotografie im Bauhaus gar keine große, sondern eine eher marginale, untergeordnete, dienende Rolle.
Werbung für die eigenen Designprodukte
Auch Kris Scholz, Kokurator der Ausstellung, die vom NRW-Forum Düsseldorf übernommen wurde, gibt zu, dass „im Bauhaus kein einheitlicher fotografischer Stil“ erkennbar sei und „die Fotografie dort vor allem der Werbung für die eigenen Designprodukte“ diente. Fotografie war zwar Lehrfach in Dessau, aber erst zehn Jahre nach der Gründung des Bauhauses – und wurde nie eigenständig, sondern blieb der Reklamewerkstatt zugeordnet.
Das Medium blieb im Bauhaus weitgehend Mittel der Dokumentation, auch wenn sich László Moholy-Nagy und Erich Consemüller mühten, der Fotografie einen eigenständigen Platz in der Bauhaus-Ästhetik zuzuweisen.
Moholy-Nagy war es denn auch, der 1929 die FiFo, die wohl historisch bedeutsamste Fotoausstellung auf deutschem Boden, kokuratierte. Da lehrte der Ungar aber schon nicht mehr in Dessau. Die Ausstellung, die nach Stuttgart noch in Berlin und Zürich zu sehen war, fand denn auch nicht unter Federführung des Bauhauses, sondern dem des Werkbundes statt, der dem Bauhaus in beständigen programmatischen Kabbeleien verbunden war.
Mit VR 90 Jahre zurück
Gleich zu Beginn der Ausstellung im Berliner Museum der Fotografie kann man im wahrsten Sinne des Wortes eintauchen in die FiFo vor 90 Jahren. Da liegen – tauchermaskengleich – zwei VR-Brillen aus, mit denen vor Augen man den ersten Raum der historischen Ausstellung durchschreiten kann, der, von Moholy-Nagy zusammengestellt, die „Geschichte der Fotografie“ darstellen sollte.
Noch bis 25. August, Museum für Fotografie, Berlin
Ganz nah kann man nun heranrücken an die virtuellen Wände, an denen historische Fotografien und Pflanzenstudien, medizinische Aufnahmen oder Röntgenbilder hängen.
Die restlichen zwölf Räume der historischen FiFo werden in der Berliner Schau nicht rekonstruiert. Stattdessen hat Christine Kühn von der Kunstbibliothek einen Teil der damals gehängten 1.200 Bilder ausgewählt und an verschiedenen Wänden thematisch geordnet.
„Wir haben das assoziative Spiel von Moholy-Nagy aufgenommen“, erklärte Kühn bei der eröffnenden Pressekonferenz, wie sie die sinnlichen Muscheln und Korallen von Aenne Mosbacher, Bewegungsstudien von Hans Robertson oder Charlotte Rudolphs Fotos der Tänzerin Gret Palucca hat – und nach Themengebieten wie „Geometrisierung der Welt“, „Neue Sachlichkeit“ oder „Licht – Raum – Zeit“ gegliedert hat.
Moholy-Nagys berühmtes Porträt einer nach oben aus dem Bild blickenden Ellen Frank hängt nun unter dem Titel „Studiopose – Nahsicht – Fragment“ neben dem Konterfei eines von Hedda Walter fotografierten Gorillas.
Über die Fotografien im ersten Raum der FiFo hatte Moholy-Nagy damals in großen Lettern „Wohin geht die fotografische Entwicklung?“ an die Wand schreiben lassen. Diese Frage stellten sich auch die Kuratoren von „Bauhaus und die Fotografie“. Sie sehen die FiFo als Urknall der experimentellen Fotografie und wollen zeigen, was die heute noch leisten kann.
Zu dem Zweck konfrontieren sie die historische Rekonstruktion der FiFo mit den Werken von zwölf zeitgenössischen Fotokünstlern, darunter so prominente Namen wie Wolfgang Tillmans, aber auch vergleichsweise unbekannte wie Doug Fogelson aus Chicago.
Prädikat sehenswert
Was auffällt: Seit 1929 hat bei der Avantgarde nicht nur die Farbe Einzug gehalten, sondern offensichtlich auch der Drang zum übergroßen Format. Während die Abzüge der historischen Ausstellung zum allergrößten Teil noch prima in eine Fotomappe passen würden, stößt manches der modernen Werke fast an die Decke der Ausstellungshalle – so wie die vier mächtigen Tintenstrahldrucke von Kris Scholz, von denen die dunkle Farbe abblättert und abplatzt. Das ist dunkel, ziemlich aggressiv und bedrohlich. Ob man sich als Kokurator unbedingt selbst aufhängen sollte, ist wieder eine andere Frage.
Am interessantesten sind denn auch die neuen Blickwinkel, wenn sie das Format nicht nur ausweiten, sondern tatsächlich sprengen. So wie Antje Hanebeck, deren – zugegeben auch ziemlich große – Bilder auf den ersten Blick wie allzu grobkörnige Architekturfotos wirken, sich dann aber als zwischen abstrakt und märchenhaft oszillierende Stadtlandschaften entpuppen.
Oder Stefanie Seufert, die belichtetes Fotopapier zu bunt schillernden Türmen schichtet und faltet, die trotz aller dreidimensionalen Standfestigkeit leicht und geradezu unwirklich wirken.
Was das mit dem Bauhaus zu tun hat? Irgendwie alles, weil das Bauhaus vermeintlich einen gewaltigen Einfluss auf jede Avantgarde genommen hat. Aber eben deshalb auch: nicht viel. Unbedingt sehenswert ist die Ausstellung aber trotzdem, auch wenn sie das, was ihr Titel verspricht, nicht wirklich einlöst.
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