Hannelore Elsner gestorben: Die, die mitriss
Sie war eine der größten deutschen Schauspielerinnen. Am Sonntag ist Hannelore Elsner im Alter von 76 Jahren gestorben.
Hannelore Elsner, so ist es im Internet vermerkt, spielte in dem 1963 nachts, während der flugfreien Zeit in der Halle des Tempelhofer Flughafens gedrehten Film über irgendwie verlorene und sich sehnende, sich befragende und sich und anderen ein Rätsel seiende Menschen, eine junge Frau mit dem hübschen Namen Sylvia Stössi, die gern ein Star wäre und nicht recht weiß, ohne zweifelhafte Herrenbekanntschaften über die Runden zu kommen.
Das war, gemessen an den Nachnaziverhältnissen im bundesdeutschen Film, fast Film noir, das war Nouvelle vague, und das war eine Hannelore Elsner, die aus dieser Figur so etwas wie einen Kern an überlebenswilliger Glaubwürdigkeit ohne Würdeverlust abringt. Wie sie auf ihren Pumps schreitet, wie in ihrem Gang noch keine sittliche Damenhaftigkeit erkennbar war, ihre Mimik ohne Scheu, aber nicht frech oder aufmüpfig: Sie will nicht verkaufen und weiß doch nicht, wie das immer zu vermeiden sein könnte.
Hannelore Elsner ist in all ihren Rollen, gleich ob sie mit Willi Millowitsch, Freddy Quinn, Vadim Glowna, Henry Hübchen, mit Beppo Brem, Hansi Kraus oder Günther Maria Halmer spielte, diese Person geblieben: eine erwachsene Frau, die so herzlich lachen kann und mitriss durch ihre Spielfreude und doch nie Kumpelin war, besonders nahbar oder komödiantisch auf die flinke Weise. Sie blieb irgendwie immer ein Körnchen von allen Fantasien von Unmittelbarkeit entfernt.
„Leben ist ums Verrecken schön“
In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sagte sie vor acht Jahren, befragt, ob sich Verlust wie ein roter Faden durch ihr Leben ziehe und ob ihr Leben vom Alleinsein handele: „Auch, ja. Aber diese Sichtweise allein gefällt mir nicht, das klingt schon gleich so traurig!“ Und das sollte es auf gar keinen, auf überhaupt keinen Fall heißen, denn „das Leben ist ums Verrecken schön“. Bloß nicht als arme Tröpfin durchgehen, nicht als Geschöpf, das es peinigend schwer hatte – und daraus noch ne Pose bauen.
„Falsch verstanden zu werden“, sei ihre Furcht, gab sie über sich Auskunft. „Wenn ich etwa erzähle, dass mein Bruder und mein Vater so früh gestorben sind, meine Mutter auch, dass mein Sohn drei Monate zu früh geboren wurde und ich um sein Leben fürchtete, habe ich gleich die Schere im Kopf, es könnte heißen: die Arme. Und das stimmt ja so nicht, nur weil ich mich lange Phasen meines Leben allein gefühlt habe.“
Sie war sogar gern allein, wie sie mal erwähnte – nötigenfalls löge sie, um sich den gelegentlichen Überforderungen durch andere zu entziehen. Wollte sie einfach mal nur nicht sprechen, um lieber mit sich spazieren zu gehen, erzählte sie schon mal, keine Zeit zu haben – sie führe nun ein Interview.
Keine andere deutsche Schauspielerin war in den vergangenen drei Jahrzehnten im Film wie im Fernsehen, auf der Theaterbühne (etwa als Teil des Projekts der „Vagina-Monologe“) so präsent wie sie. Sie hat offenbar gern sehr viele Rollen übernommen, hungrig vermutlich nach mehr – und immer darauf bedacht, das Beste ihrer Kunst vorzuzeigen. Sie spielte Primetime-Stoffe im ZDF, in der ARD, sie war öfter eine Frau in ruinierten oder moralisch zwiespältigen Verhältnissen, Prostituierte, Kneipenwirtin, eine trinksüchtige Grande Dame, ehemalige Cabaret-Chanteuse, Mutter als Mittelpunkt eines Familienfests: Ihr Gesicht konnte auch kalt wirken, herzlos, entschlossen. Wie in Oskar Roehlers „Die Unberührbare“, in dem sie mit Vadim Glowna eine glühende Salonkommunistin, die Schriftstellerin Gisela Elsner („Hanna Flanders“) – nicht mit ihr verwandt oder verschwägert –, die am Fall der Mauer und ihren eigenen zerstobenen Heilserwartungen zerbricht. Hannelore Elsner – das war über Nacht die Schauspielerin der ernsthaftesten Sorte schlechthin, feuilletonfähig.
Sie nahm das Leben nicht als Last
Sie hat in angemessener Weise alle relevanten Preise erhalten, natürlich das Bundesverdienstkreuz am Bande 1997, die Goldene Kamera, den Grimme-Preis, den Preis der deutschen Filmkritik, den Bambi, den Goldenen Ochsen des Filmkunstfestes Mecklenburg-Vorpommern, auch den Bayerischen Filmpreis für ihr Lebenswerk. Elsner, mehrfach verheiratet, immer gut über ihre Ex sprechend, nur nicht über den Vater ihres Kindes Dominik, TV-Regisseur Dieter Wedel. Sie hat, das war kein Geheimnis und sollte auch keines sein, so gut wie alles ausprobiert und womöglich herausgefunden, wie das geht, was sie in den frühen sechziger Jahren ersehnte: ein Leben wie in einem französischen Film, wie in „Außer Atem“, keine Facette des Lebens auslassend und wenn dies dann mal Kummer machte, dann bitte nicht hadern, das brächte doch nichts, wie sie sagte.
Für das eigene Leben, das sie so liebte, Verantwortung übernehmen: Das mag ihre wichtigste Message jüngeren Kolleginnen gegenüber gewesen sein – in der #metoo-Debatte gab sie schließlich einmal kund, sie sei innerlich immer so unabhängig gewesen, dass sie immer Nein sagen konnte – und es auch tat –, wenn falsche Avancen ihr angetragen wurden. Wobei, das sagte sie eben auch, sie habe sich auf Abenteuer eingelassen, immer. „Ich habe mich nie benutzen lassen.“ Und auch dies: Man müsse eine Begabung dafür haben, „das Schöne zu sehen“, wie sie der Süddeutschen Zeitung zu Protokoll gab, aber „das muss man sich erkämpfen. Die Dinge sind nicht von alleine schön.“ Sie ging mit ihren Verhältnissen um und machte sie zu ihren: ein Leben in dem, was heutzutage modisch Selbstbestimmung genannt wird. Mutig auch, sowieso, vorbildhaft, dies vielleicht ebenso: Sie nahm das Leben nicht als Last, weil es, sie recht verstanden, einfach nicht lohnte.
Ostersonntag ist sie mit 76 Jahren gestorben, nach kurzer schwerer Krankheit, wie es heißt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Verzicht auf Pädagogen in Bremer Kitas
Der Gärtner und die Yogalehrerin sollen einspringen
Grüne Parteitagsbeschlüsse
Gerade noch mal abgeräumt