ausgelesen: Jungfrau überm Tresen
Es ist einer dieser Abende in der „Nichte“ (Name geändert), am Rand des brummenden Ausgehviertels. Als der Mann mit der roten Kappe kommt, steigt die Stimmung am Tresen: Ah, die Mopo! Einige der nun den Blick von der Bierflasche Hebenden interessiert die Pop-Seite, in eigener Sache: Haben sie mein Konzert angekündigt? Ist unsere Plattenbesprechung drin? Aber der eine, der kleine gemeinsame Nenner sind doch die Sterne, wie sie sich dem Orakel in der – damals noch – Griegstraße offenbart haben. „Lies’mal Löwe vor!“, will einer; „erst Waage“, fordert ein anderer; „Jungfrau hat’s wieder mal am besten getroffen“, resümiert ein Dritter das Horoskop – wohlgemerkt: Das vom Tag darauf.
Damit ist es bald vorbei: In dieser Woche hat der Verlag angekündigt, die späte, die abends schon anlandende Ausgabe der Hamburger Morgenpost einzustellen. Im Juli dürften sie also aus dem Stadtbild verschwinden, die mutmaßlich knapp über Hungerlöhnen entgoltenen Vertriebsmenschen mit den Packtaschen und Hackenporsches. Gerade mal 2.000 Exemplare sollen zuletzt noch abgesetzt worden sein von dieser Nachtausgabe, und die Szene am Tresen lässt das wahrscheinlich scheinen: Zwei Exemplare bespaßen einen Abend lang die ganze Tränke.
Der Verlag spricht von Ersparnis und Neuausrichtung, will mehr das Papier (und die Hackenporsches) umgehende E-Paper-Abos losschlagen. Und, zugegeben: Auf Touchscreens starren sie auch in der „Nichte“ längst mindestens so sehr wie einst ins Grün der Bierflasche. Alexander Diehl
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