Kolumne Ausgehen und Rumstehen: Engtanz mit Schubert
Ein Wochenende in Berlin machte mir klar, der österreichische Komponist wäre heute in dieser Stadt keine 27 Jahre alt geworden.
S chubert war ein kleiner, hässlicher Gnom, manisch schaffend, exzessiv in seinen Gefühlsausbrüchen. Das behauptet jedenfalls Justus Wilcken, Gitarrist und Sänger der Band OMG Schubert, die am 12. April 2019 im Berliner Kulturhaus ZK/U das Abschlusskonzert ihrer ersten Tour gaben. Wilcken und Pianist Konstantin Dupelius übersetzen den alten Stoff in ein düster episches, ebenso manisches Jetzt: Der große, gar nicht hässliche Opernsänger und Schauspieler Wilcken lässt uns an dem Innenleben der narrativen Ichs teilhaben. Neben ihm beugt sich sein Kollege Dupelius mit vor Begeisterung geweiteten Augen über verschiedene digitale und analoge Tasteninstrumente und lässt uns tanzen.
Visuals von Wilhelm Rinke inszenieren die deutsche, männliche Heroik mit Ironie. So zumindest interpretiere ich es, wenn auf zwei individuell bespielten Leinwänden zu „Mein Schatz hat’s Jagen so gern“ eine Fotoreihe von Topfpflanzen gezeigt wird. Dann wieder düster psychedelische Fraktalzweige, und zu „Ich unglückseliger Atlas“ eine langbeinige Schönheit im Berghaindress. Schließlich eine verpixelte 3-D-Animation des Sängers selbst, nackt.
Ist mir das too much, frage ich mich. Soll das der Prototyp des zeitgenössischen Helden sein? Es brechen Gefühle aus Wilcken raus, er „zeigt Schwäche“, bebt teilweise wie kurz vor einem Tränenausbruch. Das männliche Idealbild wird durch das Aufzeigen dieser Extreme infrage gestellt und eine Identifikation mit diversen ProtagonistInnen der Schubert’schen Lieder zugelassen. Ob es der frohlockende Wanderer, die sich nach ihrem Schatz sehnende Müllerin oder der Liebende im Todeswahn ist.
Kopf ausschalten
Franz Schubert hat in seinem kurzen Leben, er wurde nur 31, an die 1.000 Werke geschaffen. Wenn Schubi so gelebt hätte wie ich an diesem Wochenende, wäre er wohl höchstens 27 und „Das Wandern ist des Müllers Lust“ sein komplexestes Lied geworden.
OMG Schubert – „Atlas“
Am Samstag wache ich auf und jaule schmerzlich. Ich habe Rückenweh und will am liebsten möglichst lange gar nichts tun. Zum Glück bin ich bei B., der ist in diesen Dingen inspirierend. Als ich später in die eigene WG zurückkehre, möchte ich mein ernstes Vorhaben fürs Wochenende weiterverfolgen: Kopf aus. Also schaue ich eine Folge „Sex and the City“ und schlage T. vor, wir könnten ja mal wieder daten gehen, mal wieder so eine richtig bescheuerte Situation erleben. Ihre Antwort: „Ich gehe mal kurz raus, Vitamin B12 kaufen.“
Später besuche ich B. bei einem Konzertjob im Maze, eine Art Konzertclubkneipe in Kreuzberg, und bin positiv überrascht. Wollte eigentlich nur kurz Hallo sagen, aber Kelvin Jones singt schön Lieder und die Stimmung ist voller Liebe in dem kleinen Raum.
Teenies auf Koks
Es folgt der intellektuelle Höhepunkt des Wochenendes. Irgendwie lande ich mit T. und Kompanie im Touri-Tanzschuppen Ritter Butzke auf „der Engtanz“, wie sie es formulieren, als wäre das ein gängiger Begriff. Was wirklich dahintersteckt: Teenies auf Koks, Love Floor Trash und Pfeffi Shots.
Auf dem Weg nach Hause bekomme ich den Refrain von „Atlas“ nicht aus meinem Kopf: „Du stolzes Herz, du wolltest glücklich sein, unendlich glücklich. Und jetzt? Was ist jetzt? Jetzt bist du elend, so unendlich elend.“ Und ich frage mich mal wieder: Warum? Weil dann der Kater am nächsten Tag so richtig Spaß macht. Das Leiden ist manchmal eine unterhaltsame Hauptbeschäftigung. War ja auch schon in der Romantik stark in Mode.
Am Sonntag folge ich also B. wie ein kaputter Wackeldackel zu dem Umzug einer Freundin. Die Stimmung steigt und Gedanken fangen wieder an, Kontur zu bekommen. Zu fünft werkeln wir bei Beach Boys und Nico im Wohnzimmer herum. Dieses Wochenende war so merkwürdig und wechselhaft wie sein Soundtrack.
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