wortwechsel: Herumdoktern an der motorisierten Mobilität
Die Umweltbewegung wächst, aber der Individualverkehr wird nicht angetastet. Echte gemeinnützige Organisationen werden kaltgestellt, Rüstungsverbände gefördert
Fliegen alle drei Jahre
„Radikal? Äh, nein“, taz vom 29. 3. 19
Herr Schulte, Sie kritisieren in Ihrem Kommentar, dass die Grünen-Spitze den Vorschlag des Abgeordneten Dieter Janecek zu einem Budget für Flugreisen nicht aufgegriffen habe. Jeder Mensch solle das Recht auf drei Flugreisen pro Jahr haben, wer mehr fliegt, müsse Rechte erkaufen. Dazu schreiben Sie: „Der ökologische Sinn ist kaum zu bestreiten.“ Laut Statistischem Bundesamt sind im vergangenen Jahr etwas mehr als 120 Millionen Reisende von deutschen Flughäfen gestartet. Bei gut 80 Millionen Einwohnern macht dies durchschnittlich 1,5 Flugreisen pro Person. Eine „Deckelung“ auf drei Flugreisen pro Jahr wäre demnach eine Verdoppelung. Und das soll ökologisch sinnvoll sein?
Sicher ist es eine charmante Idee, ein Budget an Flugreisen zu gestatten und für darüber hinausgehende Reisen stärker zur Kasse zu bitten. Ein solches müsste aber wohl kaum bei drei Flugreisen pro Jahr liegen – eher bei einer Flugreise alle drei Jahre. Katja Siepmann, Münster
E-Auto ist keine Lösung
„Neid auf Norwegen“, taz vom 2. 4. 19
Ich kann die Euphorie der Kommentatorin über den Zulassungsrekord von E-Autos in Norwegen nicht teilen. Zwar ist es für das Klima besser, wenn Pkws mit Elektro-Antrieb als Verbrenner die Straßen bevölkern. Doch reduziert das bestenfalls die Problematik des motorisierten Individualverkehrs, löst sie aber keinesfalls. Selbst mit einem saubereren Antrieb, was auch nur sichergestellt ist, wenn der Strom für all die neuen E-Autos aus erneuerbaren Energien kommt, bleiben alle anderen Umweltprobleme bestehen. E-Autos brauchen wie Verbrenner Straßen, die die Landschaft zerschneiden und versiegeln. Sie brauchen Parkraum, der gerade in den Ballungszentren das knappe Flächenangebot reduziert und mit dringend benötigter alternativer Nutzung, wie Grünflächen, Fahrradwegen und der Schaffung von Wohnraum, konkurriert. Und auch ein Elektromotor braucht Kraftstrom, der erzeugt werden muss, und Batterien, deren Herstellung und Entsorgung keinesfalls unproblematisch sind.
Sowohl die massive Ausdehnung der Stromerzeugung aus Wind und Sonne, um all die Diesel und Benziner auf Deutschlands Straßen elektrisch fahren zu lassen, als auch die Ausdehnung der Batterieproduktion bedingen schwere Eingriffe in Natur und Landschaft. Technische Lösungen, insbesondere wenn sie auch noch Profit versprechen, waren schon immer leichter durchzusetzen als solche, die eine Verhaltensänderung erfordern. Dafür ist sogar der Verkehrsminister zu haben. Der motorisierte Individualverkehr muss durch ein völlig anderes Mobilitätskonzept abgelöst werden. Deshalb ist es auch kontraproduktiv, Pkws mit Elektro-Antrieb zu subventionieren, statt das Geld in den Bereichen ÖPNV, Fahrradverkehr und der Vernetzung verschiedener Verkehrsträger zu investieren. Von besonders bitterer Ironie ist das „Sahnehäubchen“ für die Besitzer von E-Autos, sogar Busspuren benutzen zu dürfen und auch sonst im Verkehr bevorzugt zu werden. Markus Steuernagel, Frankfurt am Main
Zahlen für E-Mobilität
„Neid auf Norwegen“, taz vom 2. 4. 19
Sicherlich sind die Zulassungszahlen von E-Autos unter den besonders günstigen und begünstigenden Bedingungen in Norwegen beeindruckend. Aber die Begeisterung sollte den Blick für die Realität nicht trüben: 3 Millionen zugelassene Fahrzeuge in Norwegen, davon 226.000 elektrisch. Satte 7,5 Prozent; sehr viel höher als anderswo, mit den erwähnten Privilegien aber nicht umwerfend.
Elektrofahrzeuge anstelle von herkömmlichen mit Benzin – oder Dieselmotoren – lösen das Problem der Abgasemissionen am Ort der Verwendung. Sie vermindern auch die Geräuschemissionen sogar so weit, dass über den Einbau von „Soundgeneratoren“ nachgedacht werden muss.
Alle anderen mit unserer automobilen Mobilitätskultur entstandenen Probleme werden nicht einmal tangiert. Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Elektromobilität durch Steuer- und sonstige Vorteile zu begünstigen, wohl aber sehr viele Gründe, besonders unangenehme Fahrzeuge – viel Abgas, viel Geräusch, idiotische Übermotorisierung (auch E-Mobile) – durch hohe Abgaben zu belasten. Die Energieversorgung der Fahrzeuge, heute die klassische Tankstelle, muss bei der E-Mobilität durch eine große Anzahl von Ladestationen gesichert werden. Warum sollte der Staat den Aufbau eines Ladenetzes fördern? Die Gesamtheit der Bevölkerung als Steuerzahler wird in Anspruch genommen, um einem Teil weiterhin die Vorteile individueller Mobilität zukommen zu lassen. Erwin Bosak, Schorndorf
Mit Humanantrieb
„Macht mal Platz“, taz vom 4. 4. 19
Liebe Frau Werneburg, Sie sind meine Heldin des Tages. Vielen Dank für diesen Kommentar.
Ich bin 64 Jahre alt, ausschließlich Radfahrer (Humanantrieb) und fahre im Durchschnitt 650 Kilometer pro Monat. Ich unterschreibe in Ihrem Kommentar jeden einzelnen Satz. Und was Sie schreiben, gilt für die ganze Republik, deshalb auch vielen Dank an die Redaktion für den prominenten Platz auf der Seite eins.
Andreas Lobe, Reutlingen
Das hat Tradition
„Gegenwind für Umweltverbände“, taz vom 3. 4. 19
Die Angriffe auf zivilgesellschaftliche NGOs haben Tradition. Schon in den 70ern versuchten Bundesjugendministerium und Bundesrechnungshof, fortschrittlichen Jugendverbänden die staatliche Förderung zu entziehen: Argumentation: Bildung ja – Aktion nein! Die Junge Union war davon nicht betroffen. Allerdings: Aufgrund des massiven Widerspruchs fortschrittlicher Verbände, vor allem der Gewerkschaftsjugend, wurde der Entwurf fallen gelassen.
Diesmal entzieht der Bundesfinanzhof Attac die Gemeinnützigkeit wegen seiner antikapitalistischen Aktionen. Andere NGOs, wie Campact, sehen sich ebenfalls bedroht.
Nicht in Frage steht die „Gemeinnützigkeit“ der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik, eines Zusammenschlusses von Rüstungsindustrie, Bundeswehr und anderen als Rüstungslobby. Sie handeln nicht öffentlich, sondern diskret im Verborgenen.
In dem Maße, wie die Zivilgesellschaft und ihre NGOs tatsächlich politischen Einfluss und gesellschaftlichen Druck auf die Politik ausüben, regt sich Widerstand von konservativen Parteien und Medien. Dabei wird eine völlig veraltete Sicht demokratischen Handelns zugrunde gelegt. Bildung sei demnach folgenloses Aneignen von Kenntnisse oder allenfalls Meinungsbildung. Wenn Kenntnisse, Meinungsbildung und Diskurs aber zur Tat drängen, da solle der Staat bremsend bis zum Stillstand eingreifen.
Es wäre ein Leichtes, die Gemeinnützigkeit gesetzlich und/oder juristisch anders zu definieren. Aber daran haben die Herrschenden kein Interesse und sie setzen alle Hebel in Bewegung, aktives Handeln zu behindern oder zu unterbinden. Und wenn die gesellschaftlichen Widersprüche sich wie aktuell verschärfen, muss das umso rigoroser erfolgen. Das geht natürlich nur, wenn die Zivilgesellschaft sich das gefallen lässt! Jürgen Fiege, Bremen
Alte-Herren-Humor
„Theodor & Käthe“, taz vom 4. 4. 19
Lassen Sie bitte diesen spießigen Alte-Herren-Humor, wie jetzt wieder von Jan Kaiser vorgetragen.
Wieso muss die Käthe „schrill keifen“ und Zornesröte haben auf eine Frage im Konjunktiv? Weil sie nein sagt? Ist für Sie eine Nein sagende Frau nicht denkbar, ohne gleichzeitig schrill, keifend und zornesrot zu sein?
Kann Herr Kaiser nicht besser dichten? Brauchte er das alles wegen „-böte“ statt „-bäte“? Dann soll er es besser lassen und einfach Prosa schreiben. Dieser Text ist nicht witzig, nicht politisch unkorrekt auf witzige und souveräne Weise, sondern altbacken und lahm und gesellschaftspolitisch schädlich. Maxi Zöllner, Mainz
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