Sonja Vogel German Angst: Der vormoderne Konsens von Geisterstädten
Deutschland ist blau. Die AfD sitzt in allen deutschen Landtagen. Und bald auch noch: Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg, Thüringen. Demokrat*innen mobilisieren, den Erstwohnsitz vorübergehend nach Sachsen zu verlegen. Um das Schlimmste zu verhindern.
Tja, es ist eine Krux mit dem Teufelskreis aus vor sich hin siechenden, entleerten Landschaften und dem rechten bis rechtsextremen Wähler*innenpotential. Es stehen drei Nazis auf dem Hügel und finden keinen zum Verprügeln – das sang schon Rainald Grebe über Brandenburg. Vielleicht sollte man sich damit abfinden: Nun kippen Bundesländer vom Grundkonsens Demokratie hinunter in eine Welt des plebiszitär-autoritären Rackets.
Nach dem Detroit-Modell könnte man bald Wittenberge, Görlitz, Rüsselsheim, Dortmund verlorengeben als Ort der Zivilisation. Der Zweck dieser Geisterorte: müde in der Landschaft liegen. Die Natur erobert sich die failed cities zurück. In 80 Jahren, wenn die letzte Großstadtbewohner*in in den Prekariatsgürtel des Umlands gezogen ist, schaut man noch mal nach intelligentem Leben.
Und es ist ja jetzt schon so: In den Geisterstädten leben die Abgehängten, fernab von Infrastruktur, Kulturangebot und Verwaltung. Also jenseits dessen, was Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht. Das Zusammenleben auf Grundlage eines vormodernen Konsenses: eine reglementierende Dorfgemeinschaft, Vereinsstrukturen, die patriarchalische Familie, ein winziges Wir, das in seiner Kleinheit und Ausschließlichkeit zwangsläufig bei der großen Nation herauskommt.
Das hat die Geisterstadt mit dem völkischen Kulturkampf von AfD und Co. gemein. Der letzte Rest Kultur als quasi natürliche Ausdrucksform einer organischen Volkseinheit. In Abgrenzung zu den anderen, den Rückständigen. Mitsamt jener Verschwörungstheorie von den Eliten, die mit Multikulti und LGBTQ* die Nation zersetzten. Statt ein Ort der Auseinandersetzung zu sein, soll die Kultur einer völkischen Identitätserzählung dienen.
Die Fünftage-vorschau
Mi., 27. 3.
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Nullen und Einsen
Do., 28. 3.
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Jung und dumm
Fr., 29. 3.
Hengameh
Yaghoobi-farah
Habibitus
Mo., 1. 4.
Jasmin Kalarickal
Minority Report
Di., 2. 4.
Juri Sternburg
Lügenleser
kolumne@taz.de
Klar, dass es in diesem Kulturkampf nur am Rande um Kultur geht. Er richtet sich gegen Kunst- und Meinungsfreiheit. Und gegen die Idee von der Gleichheit der Menschen. Was bei der AfD „Entsiffung“ des Kulturbetriebs heißt (Marc Jongen), heißt in der bürgerlichen Mitte „deutsche Leitkultur“ (Friedrich Merz, CDU). In Bezug auf die anstehenden Wahlen ist diese Einigkeit durchaus interessant, denn wie wenig die anderen Parteien den Antidemokrat*innen entgegenzusetzen haben, zeigt sich am systematischen Unterlaufen des „Kooperationsverbots“ von CDU mit AfD („Extremismuskommission“ in Sachsen-Anhalt). Oder am aktuellen Fall der rechten Hetze gegen Hamburger Schüler*innen, gekrönt von der Forderung nach „politischer Neutralität“, einem neuen Kampfbegriff des Anti-Antifaschismus, der es ebenfalls aus den Geisterstädten in die Mitte der Gesellschaft geschafft hat.
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