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Ausgehen und rumstehen Von Jenni ZylkaMan möchte einen Schlüpfer-stürmer auf ihn trinken – aber den gibt’s nicht mehr

Foto: privat

Frühling, ja du bist’s! Oder ist’s etwa der neue Raumerfrischer, Duftnote „Traumreise nach Thailand“, den jemand über Kreuzberg versprüht hat? Den hätte ich neulich fast gekauft, zögerte aber, weil doch Bangkok luftverschmutzungstechnisch nicht der beste Ruf vorauseilt, eine Traumreise nach Kattowitz möchte ich schließlich auch nicht riechen. Stattdessen mache ich am Freitag eine Traumreise nach Potsdam, zu Stewart Copeland mit dem Babelsberger Filmorchester im Nikolaisaal.

Dort stimmt das akustische Raumklima – der Klang ist gut und Copeland frische 66 Jahre alt, genau wie in dem ollen Udo Jürgens-Song. Und obwohl das Leben nicht mehr wirklich anfangen muss für ihn, er hat ja schon Großartiges geschaffen, hat The Police mit diesem charakteristischen, nervösen Drumsound versehen, ist es für ihn noch lange nicht vorbei. Copeland ist dünn und energetisch, kaspert herum, trommelt, fillt und wirbelt, als ob er zwei oder drei Arme mehr hat.

Seinen unbändigen Elan ahnte man ja gar nicht – auf Bandfotos guckte er immer so cool! In Potsdam kommt er dagegen aus dem Lächeln nicht mehr heraus, und somit schaut man auch großzügig darüber hinweg, dass seine Stücke (Filmmusiken, Computerspielthemen und zwei alte Police-Songs) eigentlich in dieser Orchesterversion kaum Dynamik bieten, weder emotionale noch über die Lautstärke: Sie bleiben auf einem hohen, anstrengenden, mit Rhythmus vollgepacktem Energielevel stecken, folgen keinen Melodien, wollen nirgendwohin.

Die tüchtigen Babelsber­gerInnen müssen ordentlich Gas geben, um mit dem kribbeligen Copeland mitzuhalten, der je nach Laune mal beschleunigt, mal verzögert, wie Rockdrummer es eben machen – und OrchestermusikerInnen nicht. Samstagnachmittag verbringe ich mit Bouletten und Pfannkuchen im Park und schaue den jungen Leuten bei ihrem komischen Zwischen-Bäumen-Seiltanzen zu – einerseits ein herrlich altmodisches Hobby, andererseits sieht man dabei zu viele Füße. Und ich frage mich eh, was der Witz beim Seiltanzen ist, wenn man nur einen halben Meter herunterfallen kann.

Samstagabend geht es nach Wowsville in 36, um dort einen ominösen Benni aus New Or­leans anzuhören, der eine schicke (und bestimmt unpraktische) Ritterkettenhaube über einem goldenen Gewand trägt und Peter Framptons Talkbox geklaut hat, um per Mouthtube etwas monoton zu seinem eigenen Synthiesound zu singen. Ob diese Mouthtube-Schläuche eigentlich mal gewechselt werden? Oder sind sie mit Framptons Sabber dran noch teurer? Danach legt King Khan hübsche Platten auf, und ich muss fast weinen, als er Andre Williams spielt – der geile Tattergreis des Soul ist jüngst verstorben, mit 83 Jahren. Man sollte einen Schlüpferstürmer auf ihn trinken, aber so etwas haben Bars ja nicht mehr.

In der Zapfsäulen-ausstellung die „Fry Visible Pump“, die wegen ihrer „extremen Taillierung“ den Kosenamen „Mae West“ trug

Just because I can, es nicht so weit und zudem immer noch frühlingshaft ist, gehe ich noch in den Privatclub, dem Hip City Soul Club, denn da wird jede gute 7“ gespielt, die vor dem 31. 12. 1965 herauskam. Allerdings bin ich doch wohl noch nicht so alt und schwerhörig, wie ich dachte – der gellende Sound fegt mich bald wieder auf die Straße.

Am Sonntag fahre ich brav mit den Öfis zum Moabiter Meilenwerk und orgasmiere ein bisschen beim Oldtimergucken – angucken darf man die Dinger, das ist nicht umweltschädlich. Beeindruckt bin ich von der Zapfsäulenausstellung im Obergeschoss – das „Wayne Modell“ von 1935, hier in der „seltenen Ausführung als Station Lighter“, die „Fry Visible Pump“, die wegen ihrer „extremen Taillierung“ den Kosenamen „Mae West“ trug, großartig. Es riecht nach Blei und Oldsmobiles. Das würde ich als Raumerfrischer sofort kaufen.

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