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Die Ballade von Schloss Blutenburg

Genderkomik

Der PublikumspreisMit dieser Ballade gewann Caren Jeß den Publikumspreis beim Literaturfestival Open Mike. Die Publikums­jury wird von der taz betreut (Bewerbungen für die nächste Jury gern unter openmike@taz.de). Zum Preis gehört ein Abdruck in dieser Zeitung. Hier ist er. Wir gratulieren.

Die Autorin

Caren Jeß, 1985 geboren, schreibt auch Dramatik und Prosa – was man ihrer Ballade durchaus anmerkt. Ihre Theaterstücke „Deine Mutter oder der Schrei der Möwe“ und „Bookpink“ gewannen bereits Preise. Humor und dralle Situationskomik treffen auf die Hintergründe von Emanzipations- und Genderfragen.

Von Caren Jeß

I

Neulich nachts auf Schloss Blutenburg

ich hatte Gespenster erwartet.

Ich hatte blutende Gespenster erwartet.

Doch

da war nichts.

Keine Gespenster.

Da zog ich mich aus

und watete dann

durch den grünen Tümpel

der still

vor dem Schloss lag

phlegmatisch und sumpfig.

Das Wasser reichte mir

bis zu den Knien

die Füße von samtigem

Matsch

geküsst.

Da setzten sich mir

zwei Egel

aufs nackte Bein

und soffen dann von meinem ­eisenarmen Blut.

Der eine trank schnell

sein glitschiger Körper

seine Haut

spannte sich

und begann in Regenbogenfarben zu schimmern.

Dann fiel er ab

fett und satt

und ich hörte ihn

röcheln

wie ein besoffener

LKW-Fahrer

der nicht mehr hochkommt

vom Bordstein.

Ein Wolf

stieg plötzlich aus der Hecke.

Ich bin nicht die Großmutter,

sagte ich.

Der Wolf wich aber nicht

er schlich

herüber zu mir

und leckte meine Wade

bis seine Zunge

auf den einen Egel stieß

der da noch an meinem Bein

klebte.

Er fraß ihn ab

riss ihn ab

was wehtat

so ein Egel beißt sich in deiner Haut fest wie ein Pflaster, das

du seit 13 Jahren trägst und

das verwachsen ist

mit deiner Haut

der Egel

fällt erst ab

wenn er satt ist

dann ganz zart.

Der Wolf

zerkaute den Egel

seine Zähne quietschten dabei

als kauten sie auf

Gummihandschuhen herum.

Dann sah der Wolf den Egel

der da noch

fett und satt

am Boden lag

und fraß auch den.

II

Neulich nachts auf Schloss Blutenburg

ich hatte Gespenster erwartet.

Ich hatte feuchte Gespenster erwartet.

Doch

da war nichts.

Keine Gespenster.

Ich stand

vor der wehrhaften Mauer

die weiß getüncht

das Licht des

etwa dreiviertel vollen Mondes

reflektierte.

Da liefen zwei Jogger

an mir vorbei

und grüßten mich

servus

sie trugen glänzende Leggins und

hölzerne Kreuze

um den Hals

daran Maria gekreuzigt

mit Pflöcken

durch die Brüste

ans Holz genagelt

und es liefen

die Jogger

zielgerade

in den Tümpel hinein

der phlegmatisch und sumpfig

dalag.

Das Wasser stand ihnen

wie konnte es das

bis zum Hals.

Sie hatten die tiefste Stelle gefunden.

III

Neulich nachts auf Schloss Blutenburg

ich hatte Gespenster erwartet.

Ich hatte entertainende Gespenster erwartet.

Doch

da war nichts.

Keine Gespenster.

Ich saß dort

im Gras

und las

in einer Illustrierten.

Sie enttäuschte mich.

Da legte ich sie

beiseite

was für ein nichtiger Mist

und blickte dann

ich

die Desillusionierte

auf den Tümpel

der

phlegmatisch und sumpfig

vor mir lag.

Stille.

Und dann

ein Scheppern drang

herüber zu mir

hölzern und metallisch quietschend

als würde seicht gefickt auf einer Bierbank

doch konnte ich nichts

und niemanden

entdecken.

Da schlug ich dann

eine Mücke auf meinem Arm

tot

und dann die Illustrierte

auf

plötzlich war das Geräusch weg.

IV

Neulich nachts auf Schloss Blutenburg

ich hatte Gespenster erwartet.

Ich hatte verheißungsvolle Gespenster erwartet.

Doch

da war nichts.

Keine Gespenster.

Ich stand vor dem Gatter

des Gänsegeheges

doch die Gänse

die Gänse

die schliefen.

Und in meinem Herzen

miaute

ein Schmerz.

Ah

Verkümmerung

ah

mein Herz.

Da blickte ich

mich

um

und sah

am anderen Ufer des Tümpels

der dalag

phlegmatisch und sumpfig

nur Leere

bis aus dem Nichts

ein eischalengelber

Cinquecento

Fiat 500

angefahren kam

er hielt

vor dem Tümpel

und die Fahrertür

öffnete sich

ich sah es genau

und ein Kartoffelsack

wurde

hinausgestoßen

bewegte sich wie

ein Untier

der Sack

wand sich hin

und wand sich her.

Der Sack war

voller Gänse.

Wir bringen die Liebe

rief es aus

dem Innern

des braunen Kartoffelsacks.

Und es zappelte

fest zugeschnürt

die ungezähmte

Kreatur.

V

Neulich nachts auf Schloss Blutenburg

ich hatte Gespenster erwartet.

Ich hatte sensationelle Gespenster erwartet.

Doch

da war nichts.

Keine Gespenster.

Keine Attraktionen.

Keine Karussells.

Keine Äpfel

in Zuckerguss.

Ach

nun ja.

Ich fischte im Tümpel

der dalag

phlegmatisch und sumpfig

nach Essbarem.

Aufgedunsene

Pommes

verfingen sich

in meinen langgliedrigen Fingern

mhm

ich aß

mhm

bloody delicios.

Sie gingen noch weiter

auf

in meinem Magen

zersetzten sich

nicht

denn mein Magensaft

lag da

phlegmatisch und sumpfig

und konnte

der Masse in mir

nicht

Herr werden

konnte nicht

und so

nun ja.

Und dann

Gewitter

herrlich

bumm

ein Gewitter

gewaltig

ergoss sich über mich

und es schlug

sich

durch die Hecke

und ein Blitz

ein

in den Tümpel

Donnerwetter

bloody delicios

was für ein Spektakel.

VI

Neulich nachts auf Schloss Blutenburg

ich hatte Gespenster erwartet.

Ich hatte verflossene Gespenster erwartet.

Doch

da war nichts.

Keine Gespenster.

Ich trat durchs Tor

zum Brunnen hin

und las

was da

auf der

Informationstafel stand.

Hier hatten wohl vormals

vor sehr langer Zeit

im Brunnen vor dem Tore

Jungfern

ihr Menstruationsblut entsorgt.

Es gerann wohl

gelierte da unten

man konnte es zu nichts mehr gebrauchen.

Ein Seufzen entglitt mir

und stand in der Luft.

Da sah ich

über den Rand

des Brunnens

einen Käfer

krabbeln

er zog dort

zog seine Kreise

im Uhrzeigersinn.

Beim Betrachten

des Tiers

fiel mir Yesterday ein

all my troubles seemed so far away.

VII

Neulich nachts auf Schloss Blutenburg

ich hatte Gespenster erwartet.

Ich hatte weiße Gespenster erwartet.

Doch

da war nichts.

Keine Gespenster.

Plötzlich

stand ich

vor einem Baum.

Eine Buche

oben

mit Blättern

versehen.

Im Stamm

befand sich

ein Loch

daraus quoll

gelber

Schleim.

Ich strich

mit dem Finger

dem Zeigefinger

hindurch

und probierte.

Da sprach

die Buche

dein Gieren

nach Unschuld

lässt tief blicken.

Na und

dachte ich

und schob

meinen Finger

erneut

in das Loch

und leckte

dann auch

mit der Zunge

daran.

Da fuhr mir

ein Schrecken

durch die Glieder

und ich

fuhr

herum

als sei da jemand

hinter mir.

Doch nur

der Tümpel

phlegmatisch und sumpfig

lag da.

Ein Räuspern

zog durchs Geäst.

Was

geht

hier

vor?

Lisa?

VIII

Neulich nachts auf Schloss Blutenburg

ich hatte Gespenster erwartet.

Ich hatte schwelende Gespenster erwartet.

Doch

da war nichts.

Keine Gespenster.

Ich hatte ein Lied auf den Lippen

wenn du nur,

ach,

mein klein Liebelein

wenn du nur

wenn

du nur

wenn.

Da regte sich in mir ein Töchterlein

wenn du nur

wenn

du nur

wenn.

Es grub seine Fäuste

mir

in den Unterleib

kleine Nägel

hatte es schon

sie kratzten mein Fleisch

und dann

wühlte sich

grub

kroch das Töchterlein

aus meinem

Uterus

heraus

schleimiges

blutiges

eitriges

Wesen

wenn du nur

wenn

du nur

wenn

und ich hob’s in die Höh

mein klein Liebelein

da verpuffte es

zu Staub.

Und auf dem Tümpel

phlegmatisch und sumpfig

schlugen Blasen

auf

als finge er an

zu kochen.

IX

Neulich nachts auf Schloss Blutenburg

ich hatte Gespenster erwartet.

Ich hatte singende Gespenster erwartet.

Doch

da war nichts.

Keine Gespenster.

Ich saz ûf eime steine

und fühlte mich

jung

wie nie.

Ich rupfte

mir

Moos

vom Kleide

und fühlte mich

jung

wie nie.

Tra lalala la

la lala la

Da kroch

zu meinen Füßen

eine Schnecke

sicher

kroch sie zum Tümpel hin

der da lag

phlegmatisch und sumpfig.

Ta didada dei

didada dei

Die Schnecke

überholte

meine zehn starren Zehen.

Sie hinterließ

eine weiß pudrige Spur.

Ich kostete.

Sieh einer an.

Kokain.

X

Neulich nachts auf Schloss Blutenburg

ich hatte Gespenster erwartet.

Ich hatte weise Gespenster erwartet.

Doch

da war nichts.

Keine Gespenster.

Ich saß

mit gespreiztem Bein

am Tümpel

der dalag

phlegmatisch und sumpfig

und zog

einen Fisch

an Land.

Er glitt mir

aus der Hand

und glitt mir

zwischen das gespreizte

Bein.

Ein Fisch

der wacker

mit der Strömung schwimmt

unbeirrt

jeder Gedanken frei

baut muskuläres Fleisch auf.

Und der Fisch

sprach

Tief im Wasser des Tümpels

schwirren die Sophien.

Und ich verstand

nicht

was er meinte.

Fisches Auge

glänzte mich

an.

Ich will zurück

in den Tümpel

sagte der Fisch.

Ich ließ ihn

an meinem

nackten Bein

entlang gleiten

zurück in den Tümpel.

Ich sah

ihm

nach

und dachte

Sophienfotzen.

XI

Neulich nachts auf Schloss Blutenburg

ich hatte Gespenster erwartet.

Ich hatte /räuspert/ Gespenster erwartet.

Doch

da war nichts.

Keine Gespenster.

Ich hockte

in den Binsen

vor mir der Tümpel

phlegmatisch und sumpfig

und hing

einem Gedanken nach

fasrig

zerklüftet

und fadenscheinig

saß er mir

wie eine kriegsversehrte Zecke

im Kopf.

Da schreckte

mich

der Schrei

des Uhus

auf

Huhuu

wie gespenstisch.

Er breitete

seine Schwingen aus

flog

herab

zu mir

und erbrach

einen goldenen Schlüssel

in meine Hand.

Speichelfäden

säumten ihn

er roch

nach totem Gewürm.

Thank you so much

sagte ich

what can I use it for?

Der Uhu schrie

und flog dann

davon

das Laub in den Zweigen

erzitterte

Geäst knackste.

Der Mond.

Uhuhuhuu

rief von Weitem

der Uhu.

Hinter mir

das Schloss.

In meinem Kopf

der kaputte Gedanke.

In meiner Hand

der Schlüssel.

Ah

fuck it

dachte ich

und ging heim.

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