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„Wir waren unbequem für die Geschäftsführung“

Sie erwirtschafteten Profit für den Klinikkonzern und waren trotzdem ständig unterbesetzt. Die Hebammen der Asklepios Klinik in Hamburg Altona haben deshalb ihr sicheres Angestelltenverhältnis aufgegeben und sich selbstständig gemacht

Ihr Konzept des Beleghebammen-Kreißsaals funktioniert auch in großen Geburts­kliniken Foto: Miguel Ferraz

Interview Marthe Ruddat

taz: Frau Unruh, Frau Bockemühl, warum haben Sie und Ihre Kolleginnen sich mit dem Hebammenkontor selbst outgesourct?

Judith Bockemühl: Es war die Unzufriedenheit. Wir haben hier im Spätdienst teilweise zu zweit zehn Frauen betreut. Das hat solch eine Wut und Ohnmacht erzeugt. Unter diesen Bedingungen konnten wir unserem Anspruch an unseren Beruf überhaupt nicht mehr gerecht werden.

Und warum dann die Selbstständigkeit?

Claudia Unruh: Ich kannte die Vorteile davon. Große Kliniken, an denen ausschließlich Beleghebammen arbeiten, gibt es aber sonst nur in München und Nürnberg. Ich habe deshalb jemanden organisiert, der uns erklärt hat, wie so ein Modell aussehen könnte. Nach dem ersten Termin stimmten schon über 80 Prozent der Kolleginnen zu, die anderen zogen dann schnell nach.

Wie genau sieht Ihr Arbeitsmodell jetzt aus?

Unruh: Wir haben eine Partnerschaft gegründet, mit der wir Vertragspartner von Asklepios sind. Mit der Klinik haben wir eine Sicherstellungsvereinbarung abgeschlossen, damit haben wir uns verpflichtet, dass der Betrieb im Kreißsaal reibungslos läuft. Dazu kommen noch weitere Beleghebammen, die eigene Belegverträge mit dem Haus und Kooperationsverträge mit unserer Partnerschaft abschließen.

War es schwer, Asklepios von dem neuen Konzept zu überzeugen?

Unruh: Nicht wirklich. Die Verhandlungen waren sehr kooperativ. Die Not hat uns da sicherlich geholfen. Es gab eine Kündigungswelle und einen hohen Krankenstand. Die Unzufriedenheit war bei einer immensen Arbeitsbelastung extrem hoch. Asklepios wollte ja neue Hebammen anstellen, aber niemand wollte hier arbeiten. Und es war klar: Wenn sich nichts ändert, kündigen noch mehr.

Bockemühl: Wir waren auch wirklich unbequem. Wir haben konsequent Gefährdungsanzeigen geschrieben und die Geschäftsführung darauf hingewiesen, dass wir die Sicherheit der Mütter und Kinder nicht mehr gewährleisten können.

Ist das Konzept des Beleghebammen-Kreißsaals das Modell der Zukunft?

Bockemühl: Für uns schon. Wenn man uns fragen würde, ob wir nochmal zurück ins Angestelltenverhältnis möchten, dann würden wir nein sagen.

Warum?

Bockemühl: Es hat so viele Vorteile. Natürlich sind wir an die Qualitäts- und Sicherheitsstandards der Klinik gebunden. Aber wir haben den Luxus, uns selbst zu organisieren. Wir können selber bestimmen, mit wie vielen Hebammen wir im Dienst arbeiten wollen und wie wir unsere Arbeitsprozesse gestalten.

Wie wirkt sich das neue Modell auf die PatientInnen aus?

Bockemühl: Die Patientenzufriedenheit ist in den letzten eineinhalb Jahren extrem gestiegen. Manche Frauen, die jetzt ihr zweites Kind bei uns bekommen, spüren die Veränderung am eigenen Leib. Sie merken ganz deutlich, dass wir mehr Zeit haben.

Die Freiberuflichkeit bringt aber auch viele Risiken mit sich.

Bockemühl: Klar. Wenn ich krank oder im Urlaub bin, dann bekomme ich kein Geld. Man muss auch für sich selbst gut in die Zukunft planen, damit man solche Phasen puffern kann.

Woran krankt es denn im System, dass Sie bereit waren, dieses Risiko auf sich zu nehmen?

Unruh: Es gibt beispielsweise eine neue gesetzliche Regelung, die vorschreibt, dass Beleghebammen nur zwei Frauen gleichzeitig während der Geburt betreuen dürfen. Für angestellte Hebammen gilt das nicht. Wenn auch Kliniken als Arbeitgeber gezwungen wären, so viele Hebammen vorzuhalten, dass eine Eins-zu-Zwei-Betreuung gewährleistet ist, dann müssten sie mehr Hebammen einstellen. Es sollte in den wenigen großen Geburtskliniken ein breiteres Angebot für die Schwangeren und die Hebammen geben, vom Geburtshaus bis zum Level eins Perinatalzentrum. Das würde eine menschenwürdige Geburtshilfe bedeuten, die allen gerecht wird.

Wie soll das gehen? Es gibt doch einen Hebammenmangel.

Unruh: Nein, die Hebammen arbeiten einfach nicht mehr in ihrem Beruf.

Bockemühl: Es hat sich ja kein Loch aufgetan, in dem sie einfach verschwunden sind. Die Arbeitsbedingungen sind einfach so schlecht geworden, dass nicht mehr viele in dem Beruf arbeiten oder ihn wählen. Wenn wir da nicht gegensteuern, wird es in zehn Jahren einen Hebammenmangel geben.

Krankenhauskonzerne argumentieren oft, dass sie einfach nicht genug Geld hätten, um mehr Personal zu beschäftigen.

Bockemühl: Das haben wir in unseren Verhandlungen auch immer wieder gehört und das war das Frustrierendste. Uns wurde gesagt, dass unsere Abteilung die einzige sei, die überhaupt noch ein Plus macht. Aber man müsse das Gesamtpaket beachten.

Mit Ihrem Modell können Sie jetzt eine Eins-zu-Zwei-Betreuung gewährleisten. Am Geld kann es also nicht gelegen haben.

Claudia Unruh, 52, und Judith Bockemühl, 47, gründeten das Hebammenkontor Altona, den ersten Beleghebammen-Kreißsaal Hamburgs. Als Teil des Koordinationsteams machen sie Dienstpläne und sprechen sich mit der Ärzteschaft ab.

Unruh: So einfach ist die Rechnung nicht. Die Kliniken bekommen Pauschalen pro Geburt, da ist das Personal inklusive. Deshalb ist es für die Kliniken ja so gut, wenn sie wenige Hebammen und viele Geburten haben: Sie bekommen oft die Pauschale, müssen sie aber nur an wenige ausschütten. Und solange zwei Hebammen zehn Frauen versorgen und alles gut geht, hat das Haus gut verdient. Mit unserer jetzigen Arbeitsweise bekommt die Klinik eine reduzierte Pauschale. Wir rechnen unsere Leistungen direkt mit der Krankenkasse ab.

Wenn die Klinik eine geringere Pauschale bekommt, warum macht sie das mit?

Bockemühl: Das kann man sich schon fragen. Man muss aber gegenrechnen, dass die Klinik ein riesiges Team losgeworden ist. Die Personalkosten, die Verwaltungskosten, all das fällt für sie damit weg.

Also ist vereinfacht gesagt insgesamt mehr Geld im Topf?

Unruh: Genau.

Profitieren auch Sie finanziell?

Bockemühl: Wir verdienen besser. Wir müssen zwar mögliche Ausfallzeiten kompensieren, aber ich finde, dass unsere Arbeit endlich angemessen bezahlt wird.

Trotzdem: Wäre nicht eine politische Lösung für alle Hebammen wünschenswert?

Bockemühl: Natürlich wäre es schön, wenn der Hebammenberuf im Angestelltenverhältnis wieder attraktiver würde, auch aufgrund der genannten Risiken der Freiberuflichkeit. Aber die Frage ist, wie lang der Atem eines Teams ist, das durchzukämpfen. Wir waren wirklich sehr unbequem für die Geschäftsführung, haben viel kritisiert, oft um Gespräche gebeten. Und es hat sich trotzdem nichts verändert.

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