berliner szenen
: Da macht Helfen richtig Spaß

Es ist kalt und regnerisch an diesem Freitag, als ich von Pankow nach Kreuzberg muss. Darum fahre ich nicht Fahrrad, sondern S-Bahn. Da sitz ich so und lese, als an der Oranienburger Straße eine Frau mit Rollstuhl in den Waggon kommt. Sie trägt grau-braune Funktionskleidung und einen schwarzen Fahrradhelm, ist mittelalt und hat eine S-Bahn-Werbezeitung auf dem Schoß. Ich sehe kurz hoch, als der Rollstuhl an mir vorbeirauscht, und bewundere, wie elegant die Frau quasi einparkt. Dann lese ich weiter.

Plötzlich höre ich eine sehr klare, sehr wütende Stimme. „Ich hasse Merkel, oh, wie ich diese Frau hasse!“ Das klingt bedrohlich. Ich schaue hoch. Die Rollstuhlfahrerin starrt auf ihre Werbezeitung und wiederholt wieder und wieder, was sie gerade gesagt hat. Leise, aber durchdringend. Irgendwie unheimlich. „Ich wünschte, sie wäre tot, ja, sie soll endlich sterben. Ich hasse Merkel!“ So geht das ein paar Stationen lang. Im Abteil ist es sehr ruhig, die wenigen anderen Fahrgäste sehen alle betreten auf ihr Handy oder zu Boden.

Irgendwann zerreißt die Frau die Zeitung längs in zwei Teile und zerfetzt die eine Hälfte langsam in kleine Schnipsel. Dann dreht sie die andere Hälfte langsam mit den Händen, als ob sie ein Handtuch auswringen wollte. Oder jemandem den Hals umdrehen, denke ich, als sie wieder sagt: „Die soll endlich sterben!“

Am Potsdamer Platz rollt sie zur Tür. „Kann mir vielleicht mal jemand helfen?“, ruft sie böse in den Waggon. Ein Mann springt auf und schiebt den Rollstuhl zur Tür. Am Eingang kommt ihm ein zweiter Mann zu Hilfe. „Nicht von vorn!“, brüllt die Frau den Mann sehr laut und sehr zornig an. „Ja, so macht helfen wieder richtig Spaß“, sagt einer der Männer, als er sich wieder hinsetzt. Ich schaue hoch. Die anderen Fahrgäste ebenfalls. Wir lächeln uns zu. Gaby Coldewey