der rote faden: Spülmaschine, Integrasyon, Schnuckis
Durch die Woche mit Ebru Taşdemir
Kolumnen sind auch nur Nebelkerzen von Solipsist*innen – Betrachtungen des eigenen Bauchnabels packen Nahrungsaufnahme und Stoffwechsel, Ängste, Triebbefriedigung und ein Quäntchen Netflix in politische Forderungen, in Analysen unserer Zeit und gaukeln im besten Falle ein wenig Intimität vor („neulich beim Dönermann“), damit der Leserin ein Augenrollen, eine wütende Faust oder ein Lächeln entlockt wird.
Beginnen wir also mit der einfachsten, der leichtesten Übung: dem Augenrollen.
Meine Spülmaschine ist wie Europa. Sie glänzt von außen, verspricht viel mit ihren acht Programmen, aber im Inneren, im Maschinenraum, da rumpelt es. Bei gutem Spülgang kleben nur Nudelreste an den Gläsern, an schlechten Tagen tut sie einfach so, als ob sie an ist, und schaltet sich hinterlistig selbst aus. Bei jedem Befüllen keimt Hoffnung auf. Dass dieses Gerät endlich das tut, was es so großkotzig verspricht: spülen und mich nicht hängen lassen, wenn Gäste Sekt aus reinen Gläsern wünschen.
Ja, wie soll man denn sonst anstoßen auf die neue „Ära der Kooperation“ zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und den Ländern der Arabischen Liga? Sobald es um das böse Wort Migration geht, sitzen Despotenstaaten wieder am EU-Tisch. Lustig, wenn man so halbwegs an allen Fingern und Zehen abzählen kann, wie oft seit 1963 der Türkei die Menschenrechtslage (zu Recht) als Hindernis für einen EU-Beitritt verkauft wurde.
„Also respektiert unsere Werte, wie wir eure Werte respektieren“, sprach Ägyptens Präsident al-Sisi auf der Abschlusspressekonferenz am Dienstag und ließ das Mikrofon fallen – also im übertragenen Sinne – und ganz viele saßen augenrollend in den ersten Reihen, aber niemand rief: „Warte mal, war Ägypten nicht das Land, das innerhalb von drei Wochen mehrere Hinrichtungen gerichtlich anordnete?“ EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker jedenfalls, so konnte man lesen, habe nach dem verbalem Ausfall des ägyptischen Präsidenten erwähnt, dass er die Menschenrechtslage doch erwähnt habe. Augenroll.
Zweite Übung: Das Wütend-mit-der-Faust-Winken
Ungefähr zeitgleich mit dem Gipfel taucht auf meiner Facebook-Zeitleiste ein Video eines missglückten Drehversuchs mit dem Comedian Özcan Coşar auf YouTube auf. Eigentlich kein Thema. Aber doch: im November 2018 fährt ein Kamerateam des öffentlich-rechtlichen Radiosenders 1LIVE nach Dortmund-Dorstfeld. Berüchtigt ist der Kiez für sein hohes Aufkommen an Händehochstreckern und Holocaustverweigerern. Dort ist „Nazikiez“ an die Wände gesprüht, mehrmals. Aber ist bestimmt ein super Stadtteil, und Dortmund ist eh super. Also für alle diejenigen, die nicht dort wohnen müssen.
Der Journalist und der Comedian kalauern die ganze Zeit über integrasyon, mintegrasyon, und im „Nazikiez“ wollen sie über Rassismus sprechen. Die Stimmung auf der Fahrt nach Dorstfeld ist ausgelassen, der Comedian macht Witze über Nazis. Lachen. Bis sie dort die Kameras aufbauen.
Plötzlich stehen offensichtlich rechte und besorgte Bürger in den Hauseingängen, Böller knallen und das Kamerateam und der Interviewgast werden aber so was von schnell dort weggebeten („Yalla yalla, verpisst euch“), dass man kaum drüber staunen kann, wie gut integriert die Nazis mittlerweile wortschatzmäßig sind. „Was ist das hier, wir sind in Deutschland, Mann“ ruft der Journalist erstaunt, als sie wieder sicher im Auto sitzen. Herrlich, diese Unbekümmertheit. Ja, Mann, Du bist mitgemeint. Nicht nur „der Türke“ neben dir. Den Unbeschwerten winken mit der wütenden Faust.
Dritte Übung: Das Lächeln
Wenn Freunde Kinder bekommen, und das tun sie, dann freut man sich und grübelt, was man im Kapitalismus denn noch schenken kann, die kriegen und haben ja schon alles, die Schnuckis. Ah, Bücher! Bücher sind cool. Nicht ganz so cool ist es, wenn da kaum Leute auftreten, die so aussehen, wie Menschen eben hier aussehen – dick, dünn, klein, groß, mit schwarzer Haut und mit weißer, mit krausen Haaren oder schwarzen Bärten.
Das Bilderbuch „Hundert“ von Heike Faller und Valerio Vidali, erschienen im Verlag Kein &Aber, zeigt Menschen beim Tanzen, Nachdenken, Fahrradfahren. Ab Seite eins ist eine Reise durchs Leben. Auf jeder Seite steht eine Frage oder ein Gedanke, durchnummeriert von eins bis hundert, als wären es Lebensjahre. So kann man sich mit dem Kind als gute Erwachsene hinsetzen und laut vor sich hin denken.
Die Seite zu meinem jetzigen Alter zeigt die Zeichnung einer dicken, schwarzen Frau und die Frage: „Magst Du Dich, so wie Du bist?“ Als Solipsist*in-Kolumnist*in müsste ich antworten: Klar, ick kenn ja sonst nüscht. Lächeln.
Nächste Woche Klaus Raab
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen