Plattenlabelgeburtstag in Hamburg: Der Schmetterlingssammler
Seit 21 Jahren sammelt Felix Kubin für sein Label Gagarin Records Verschrobenes zwischen kuriosem Pop und unakademischer Neuer Musik. Am Samstag wird gefeiert.
Felix Kubin hat ein großes Vorbild, mehr noch: einen „telepathischen Alliierten“, wie der Hamburger Musiker, Komponist, Hörspielmacher und überhaupt Klang- und Medienkünstler selbst formuliert: den russischen Kosmonauten Juri Gagarin. Denn wie der erste Mensch im Weltraum ist Kubin seit Mitte der 1980er-Jahre am liebsten dort unterwegs, wo bisher noch niemand war; schwebt in seiner ganz eigenen Umlaufbahn – und schickt von dort aus durchaus auch mal rätselhaft bleibende Klangbotschaften.
Mit allen akustischen Mitteln wendet sich der selbst ernannte „Lord of the Deranged“ ausdrücklich gegen die Schwerkraft und setzt sich leidenschaftlich für die Befreiung aufklärerischer Klänge aus den Fängen des Kapitalismus ein: mit sozialistischen Singeliedern der „Liedertafel Margot Honecker“, mit Elektroakustischem und Krach, mit Experimentellem und Konzeptmusik und vor allem mit ausdrücklich „verspielt-verspultem“, irgendwie futuristischem oder dadaistisch anmutendem Pop.
Dazu kommen regelmäßig Zeichentrick- und Animationsfilme, Radiosendungen, Hörspiele, Film- und Theatermusik, Literarisches, Installationen, das „Syndikat für Gegenlärm“ – und das eigene Plattenlabel Gagarin Records. 1998 hat Kubin es gegründet, um zunächst mal seine eigene Musik zu Filmen der Künstlerin Mariola Brillowska zu veröffentlichen – in „telepathischer Allianz“ mit Gagarin, wie er auf der Internetseite des Labels schreibt.
An diesem Samstag feiert Kubin den 21. Geburtstag des Labels auf Kampnagel, unter anderem mit Liveauftritten von drei seiner Künstler*innen: der Spanierin Eli Gras, dem Tel Aviver Adi Gelbart und dem Warschauer Percussion-Duo Pękala-Kordylasińska-Pękala – „Songs am Rande des Nervenzusammenbruchs“, verspricht Kubin.
Tatsächlich klingt auch die Musik, die Kubin in den vergangenen zwei Jahrzehnten zusammengesammelt und veröffentlicht hat – ganz so wie seine eigene –, oft wie aus einer anderen Welt. Oder zumindest der vertrauten Klangwelt ringsum irgendwie enthoben. Eine erlesene Auswahl an irrwitzigem Zeug hat Kubin auf 39 Platten pressen lassen, das sind gerade mal zwei Veröffentlichungen pro Jahr. Dazu kommt seit ein paar Jahren noch die kleine Singlereihe „Apolkalypso“, auch da sind es nur zwei Veröffentlichung pro Jahr.
Irrwitziges Zeug
Die aber sind mit umso feinerem Gespür für Verschrobenes ausgewählt. „Gerade gestern sagte jemand zu mir, ich sei mehr so ein Schmetterlingssammler“, sagt Kubin. Nur dass die bunt schillernden Exemplare, die Kubin mit der Plattenspielernadel aufspießt, überaus lebendig bleiben. Und oft Unikate sind, die sich nur schwer in bestehende Gattungen sortieren lassen.
Da finden sich ordentlich verschwurbelte, äußerst eigenartige Klangexperimente im Katalog, schwer Einzuordnendes und auch nicht immer leicht Konsumierbares. „Man muss sich auf sie einlassen“, sagt Kubin. „Das sind schon Platten, die sind auf eine Art sehr einnehmend und fordernd. Man kriegt eigentlich nur Zugang dazu, wenn man sie sich konzentriert anhört.“
Dabei sind die Veröffentlichung von auf den ersten Eindruck so verrückt erscheinenden Vögeln wie Ergo Phizmiz, Pete Um, Adi Gelbart oder Eli Gras mitnichten verkopfte Besinnungsmusik fürs Akademiker-Sitzkonzert. Wenn Eli Gras etwa ihre selbst gebauten Instrumente wie einen mit Saiten bespannten Kickertisch spielt, dann ist immer eine Menge anarchischer Spaß irgendwo zwischen Noise, aber eben auch Pop dabei. „Es geht schon um etwas Geistvolles“, sagt Kubin, „aber einen Geist, der nicht schon zurechtgeschnitzt ist – sondern eher um den abgebrochenen rohen Ast.“
Verrückte Vögel
Ein wenig Entdeckergeist muss man aber schon mitbringen. Denn um genau den geht es ja auch den allesamt eigenwilligen und von Werdegang oder Genre her ganz unterschiedlichen Künstler*innen, die auf Gagarin Records zusammengekommen sind. Allen gemeinsam ist, dass sie in verschiedenen Disziplinen aktiv sind. „Dadurch entstehen interessante Interferenzen“, sagt Kubin begeistert; oder dass sie ihre Musik auf oft selbst gebauten Instrumenten spielen, die nicht weniger eigenwillige Verhaltensweisen zeigen als ihre Spieler*innen. „Die Unberechenbarkeit der Welt ist etwas, das mich sehr interessiert in der Musik“, sagt Kubin.
Sehr eigenwillige Geräte, die so komplex oder auch instabil sind, dass sie sich gar nicht wirklich kontrollieren lassen, hat Kubin auch für seine aktuelle Platte gespielt, deren Release ebenfalls an diesem Abend gefeiert wird. Erschienen ist sie nicht bei Gagarin Records, sondern beim noch jungen Hamburger Label Vis: eine aus zwei langen Stücken bestehende Hommage an zwei veritable Klang-Ungetüme, den nur einmal gebauten Max-Brand-Synthesizer und das Rob-Hordijk-Modularsystem.
Sa, 2. 3., 20 Uhr, Kampnagel. Infos: www.gagarinrecords.com, www.felixkubin.com
„Sehr, sehr verwegene Sachen“ seien aber auch für den Ausklang des Abends zu erwarten, verrät Kubin noch: Gemeinsam mit Felix Raeithel legt er nach den Konzerten als „Demo Dandies“ auf. Seit 2011 sammeln die beiden in verschiedenen Städten „alles, was nicht niet- und nagelfest ins Format passt“, von merkwürdigen Soundcollagen über schwer erträglichen Elektrokrach bis zu Musik mit dem eigenen Haustier. Dafür laden sie das Publikum dazu ein, möglichst verschrobene und eigentlich unprofessionalisierbare – vor allem aber ungemein unterhaltsame – eigene musikalische Gehversuche auf Tape oder CD mitzubringen.
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