Benjamin Moldenhauer
Popmusik und Eigensinn
: Durch die Pubertät getragen

Foto: privat

Bei Linkin Park warf der distinktionsbewusste Musikkritiker in den Nullerjahren schnell den Lachsack an. Lächerliche Musik, Crossover, Inbegriff der Geschmacklosigkeit, und die Texte: „I’m tired of being what you want me to be/feeling so faithless, lost under the surface“. Hehehe, das würde der stilsichere Mensch auch in Momenten größter Not nicht mal besoffen an eine Klotür ­schreiben; schnell eine Autechre-Platte auflegen.

Mit den Stimmen der Fans, die 2017 nach dem Suizid des Linkin-Park-Sängers Chester Bennington zu hören waren, hat sich mein Bild dieser Band geändert. Ich hätte zuvor schon wissen können, welche Bedeutung Linkin Park für viele Menschen hat, die Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger geboren wurden. Einen klärenden Nachruf auf Bennington hat Paula Irmschler in der Intro geschrieben; im Rückblick ausgehend von der eigenen Erfahrung, nicht von Kriterien, die denen, für die diese Musik gemacht war, gleichgültig sind. Die Ausgangslage: „Irgendwas war scheiße und wir konnten nicht herausfinden, was. Also mussten wir es wohl selbst sein.“ Der Trost: „Man war falsch. Aber dieser Typ, der einem ins Ohr schreit, ist auch falsch. Und er schreit für uns alle mit.“ Wenn man 15 ist, sind die elaborierten Kategorien von Erwachsenen, die schon alles gehört haben, sehr unerheblich.

Man nimmt derartige ästhetische Erfahrungen im Nachhinein oft nicht ernst, vielleicht auch, weil man sich selbst nicht gern erinnert, an welche ganz realen Erfahrungen sie anknüpfen. Die angeblichen Teenielaunen („Ritzen […] als narzisstisches Gepose […], ‚Emo‘ als Schimpfwort“, schreibt Irmschler) waren nicht selten ausgewachsene Depressionen. Und über Depression, über seine nämlich, hat Chester Benning in dankenswerter Offenheit gesprochen, in Interviews und in Songtexten. Linkin Park haben offenbar viele Menschen durch die Pubertät getragen, die sich sonst vielleicht nicht nur geritzt hätten.

Der zweite Linkin-Park-Sänger Mike Shinoda hat ein seinem toten Bandkollegen gewidmetes Solo-Album veröffentlicht, „Post Traumatic“. Shinoda guckt von innen und von außen auf den Schmerz, und die Songs scheuen abgegriffene Bilder nicht. „My inside’s out, my left is right/My upside’s down, my black is white/I hold my breath, and close my eyes/And wait for dawn, but there’s no light“. Wenn die Musik auch nur einem Menschen hilft, unbeschadeter durch die Welt zu kommen, ist es gut.

So, 3. 3., 20 Uhr, Pier 2