: Ich nicht essen mich
In Hanna Hegenscheidts an Fassbinder angelehnte Gestenchoreografie „Not Good Alone“ in den Weddinger Uferstudios treffen sich „Gastarbeiterdeutsch“ und International English
Von Astrid Kaminski
Haben Sie geschmeckt?“, fragt die vietnamesische Kellnerin im echten Leben seit gut sieben Jahren jedes Mal beim Abräumen des leergeputzten Tellers. Sämtliche Versuche wechselnder Kund*innen, der Frau beizubringen, ein Objekt in dem Satz zu verstauen, sind bislang gescheitert. Und jedes Mal steckt im Scheitern auch eine ziemliche Spur Verunsicherung: Ist das nicht sowieso zu belehrend, zu deutsch-klugscheißerisch oder ist es, im Gegenteil, ein Ernstnehmen des Gegenübers, irgendwann mal mit der korrekten Version „Hat es Ihnen geschmeckt?“ rauszurücken?
Das Scheitern zu beobachten ist toll. Da wenig gemeinsame Sprachkenntnisse vorhanden sind, endet das Unterfangen meist doch in einer Form von „Ausländerdeutsch“. Gast: „Nicht ‚Sie‘ geschmeckt; ‚es‘ geschmeckt – ‚es‘, das Essen. Kellnerin: „Sie nicht schmecken?“ Gast, halb ironisch, halb verzweifelt: „Ich nicht essen mich.“ Wer da nicht an Fassbinder denkt, weiß nichts von „Angst essen Seele auf“. Wer den Film kennt, fällt in die paradigmatische Falle. Irgendwie absurd, 45 Jahre und mehrere interkulturelle Aufklärungsversuche weiter, immer noch reinzufallen in diese miefige Hilflosigkeit. Ob das der Grund für die Choreografin Hanna Hegenscheidt ist, Rainer Werner Fassbinders schon oft für das Theater adaptiertes Sozialdrama von 1974 nun auch zur Grundlage einer Choreografie zu machen?
Hanna Hegenscheidt inszeniert mit „Not Good Alone“ in den Weddinger Uferstudios eine Gestenchoreografie der Verklemmt- und Verdruckstheit mit Figuren, die offenbar zwischen der Realität ihrer Performer*innen und den Filmcharakteren alternieren. In erst während des Spiels aufgerichteten Kulissen, die zu Pina-Bausch-artigen Innen-Außenraum-Situationen arrangiert werden, lässt sie einzelne Filmszenen in mehreren Loops gestisch und im Tonfall nachstellen, übersetzt dabei aber Passagen in gebrochenes Englisch und spielt mit einem doppelten Verfremdungseffekt: Einerseits hin zu einem aus Fassbinders „Gastarbeiterdeutsch“ abgeleiteten Denglisch, andererseits einer Gegenüberstellung mit dem in der Performer*innenszene üblichen International English.
Wer die Performer*innen kennt, aber so gut wie nie Deutsch reden hörte, hat zusätzlich Spaß an deren Aneignung der deutschen Szenen. So mimt zum Beispiel der jahrelange Sasha-Waltz-Tänzer Luc Dunberry zeitweise die ursprünglich im Brigitte-Bardot-Stil aufgemachte Barbesitzerin – trägt dafür aber androgyne 80er-Garderobe. Die libanesische Performerin Zeina Hanna schlüpft für die Titelszene in die Rolle des Hauptdarstellers Ali sowie daraufhin in diejenige der bieder-aufmüpfigen Hausfrau. Und eine interessante Leerstelle bleibt situationsbedingt Medhat Aldaabal vorbehalten. Der syrische Tänzer, der sich in den letzten Jahren unter anderem durch seine Zusammenarbeit mit dem israelischen Choreografen Nir de Volff sowie durch seine zum Event geratenen Community-Dabke-Kurse einen Platz in der Szene erobert hat, ist offensichtlich verletzt. Er kommt erst beim Schlussapplaus auf die Bühne und mit ihm die Frage, wie der etwa Dreißigjährige mit der zupackend-charmanten Ausstrahlung und seiner öffentlich thematisierten Fluchterfahrung sich in das spröde Stück eingefügt hätte.
Das Problem dabei: Die Fallhöhe der Figuren, die durch die Besetzung mit in der Szene bekannten Performer*innen entsteht, lässt sich für Außenstehende weniger nachvollziehenden. Klar wird das am eher unbekannten Jeff Wood, der zwar einen beeindruckenden 80s-Oberlippenbart trägt, aber durch weniger Reibung an einer vorausgesetzten Performer-Persönlichkeit auch weniger Präsenz bekommt.
Die nicht herausgearbeitete, sondern rein implizite Einbeziehung der Performer*innen-Charaktere ist einer der Gründe, warum sich das Loopen einzelner Szenen als eine Frage von Differenz und Wiederholung nur wenig erschließt. Ein anderer Grund, warum die Fassbinder-Dekonstruktion tendenziell in der mimetischen Analyse stecken bleibt und bei der Premiere noch nicht so recht ein Eigenleben entwickeln will, könnte in der wenig plastischen, pantomimischen Umsetzung des verhaltenen Gestenkanons liegen.
So bleiben die krassen „Gesindel“-etc.-Rassismen, beispielsweise des „Putzfrauen“-Treppengesprächs, die eigentlichen Spitzen dieser Fassbinder-Variante „Not Good Alone“. Um über den O-Ton hinauszukommen oder das Geschehen in eine postmigrantische, postinternetverortete Vereinsamungsszenerie einzutunen, bräuchte es noch ein paar Loops.
Not Good Alone: Uferstudio 14, Uferstr. 8/23. Sa./So. 19 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen