: „Füchse sind eher Sammler als Jäger“
Sophia Kimmig untersucht, wie Füchse in der Stadt zurechtkommen – und sie ist immer wieder begeistert, was für schöne Tiere das sind
Protokoll Helmut Höge
Heutzutage erforscht man nicht ein Tier, sondern ein Thema. Ich untersuche nicht nur den Berliner Stadtfuchs, sondern auch den Brandenburger. Auf welche Lebensbereiche der Füchse hat die Stadt Auswirkungen? Auf dem belebten Alexanderplatz zum Beispiel können die Füchse ihre Fluchtdistanz gar nicht aufrechterhalten.
Ich habe hölzerne Fuchsfallen aufgestellt – und eine Kamera gegenüber. Auf einen gefangenen Fuchs kommen 2, 3 Waschbären. Zum Anlocken benutze ich Frolic-Trockenfutter. Einmal in der Woche muss ich den Chip in der Kamera auswechseln. Die ist mit einem Bewegungsmelder ausgestattet, der mit Schwarzlicht blitzt.
An den Fallenstandorten gibt es neben Füchsen und Waschbären Dachse, Marder, Reiher, Eichhörnchen und Krähen. In Berlin ist der Fuchs überall, die Tiere sind dämmerungsaktiv. Ein Fuchs hatte seinen Bau auf einer S-Bahn-Trasse, er wurde irgendwann überfahren. Viele Füchse leben auf Friedhöfen und in Parkanlagen. Füchse sind eher Sammler als Jäger, sie essen auch viele Früchte. Das Füttern ist in Berlin illegal, wer erwischt wird, muss mit 5.000 Euro Bußgeld rechnen. Das Füttern führt zu einer sukzessiven Verringerung der Fluchtdistanz von Füchsen, also dazu, dass sie Grenzen überschreiten, was zur Folge hat, dass man sie auch in Berlin erschießt.
Wenn ein Fuchs in einer meiner Fallen steckt, gehe ich sofort mit zwei, drei Leuten hin und einem Drahtkorb, er bleibt nicht lange in der Falle. Er wird betäubt, auf Gesundheit untersucht und bekommt einen Halsbandsender. Der hat ein Lederstück eingebaut, das mit der Zeit durchscheuert, und dann fällt er ab. Bis dahin kann ich den besenderten Fuchs über GPS verfolgen.
Die meisten Sender bekomme ich zurück, weil der Fuchs tot ist, das heißt überfahren wurde. Die Kadaver kommen nach Frankfurt (Oder) in die Pathologie des Landeslabors. Ich nehme vorher eine Gewebeprobe ab, um genetische Untersuchungen zu machen, das heißt, um Unterschiede zwischen Land- und Stadtstrukturen zu finden. Wir sehen auch hier bereits bei der Genanalyse einen Effekt der Stadt.
Ich habe außerdem den Darminhalt von 600 Tieren im Kühlfach, wobei die DNA von den in Wasser gelösten Proben schon isoliert ist. Es geht mir um die DNA-Ebene, die gescannt wird, DNA-Meta-Barcoding nennt man das. Auf diese Weise kann man jedoch keine quantitative Analyse machen.
Mich interessieren 1. die Genetik, 2. Ernährungsweisen und Krankheiten, 3. die Lebensraumnutzung – Reviergröße, Aktivitätsmuster und so weiter. Außerdem bin ich immer wieder begeistert, was für schöne Tiere Füchse sind.
Und spannend ist daran, was der Fuchs macht, wenn man ihn nicht beobachtet, nachts etwa. Man wünscht sich so wenig menschlichen Einfluss auf ihn wie möglich.
17 Füchse hatte ich besendert, zwei tragen derzeit noch Sender. Der RBB hat mal über mein Fuchsprojekt berichtet, anschließend konnte man auf seiner Website mit seinem Handy Fuchsmeldungen unterbringen. Das half mir beim Finden von Standorten für die Fallen.
Es wird gesagt, dass Füchse von allen zugezogenen Tieren die Menschen in der Stadt am meisten faszinieren, außerdem sind sie nicht so gefährlich groß wie die Wölfe, die sich allerdings noch nicht in die Städte trauen. Wenn die Wildtiere einmal weg sind, ausgerottet, dann fällt es schwer, wieder mit ihnen zu leben, man hat Angst davor.
Neben der Ökologie des Fuchses in der Stadt untersuchen wir auch die Haltung der Bevölkerung zum Fuchs. Das ist ein spannendes Thema, da diese Haltung durchaus ambivalent ausfallen kann. Auf der einen Seite wird der Fuchs als schön, schlau und charismatisch beschrieben, auf der anderen als listig und diebisch. Er ist ein potenzieller Überträger von Krankheiten und ein Konkurrent zum Beispiel für Geflügelhalter und Jäger.
Meine Feldarbeit ist jetzt nach zwei Jahren abgeschlossen, ein weiteres Jahr brauche ich noch zum Schreiben. Davor habe ich mit Mexikanischen Präriehunden gearbeitet, einer endemische Art, sie sind zierlicher als die nordamerikanischen und werden, obwohl unter Artenschutz gestellt, massiv vergiftet oder sonst wie verfolgt.
Der Fuchs ist eine Modellart, mit der evolutionsbiologische Fragestellungen beantwortet werden können. Füchse sind nicht selten, nicht gefährdet, auf der Welt weit verbreitet. Sie passen sich an ein breites Spektrum von Habitaten an, auch bei ihrer Ernährung. Ihre Komplexität und Flexibilität machen sie zu guten Untersuchungsobjekten. Dank ihrer Anpassungsfähigkeit kommen sie inzwischen auch überall in den Städten vor.
Die Zahl der Füchse ist in Berlin relativ konstant. Zwar sind sie anfällig für Staupe, und die grassiert auch immer mal wieder, aber dadurch werden Reviere frei, die wieder neu besiedelt werden. Die rege Bautätigkeit in der Stadt zerstört immer wieder ihre Bauten und Reviere. Sie siedeln dann zum Beispiel vorübergehend auf die Baustelle um.
In der Stadt müssen Füchse mit viel Fluktuation zurechtkommen. Die meisten haben mehrere Schlafplätze und einen Bau für die Aufzucht. Sie ziehen oft um in andere Baue. Der Rüde füttert die Jungen in der ersten Zeit mit. Füchse haben Paarbeziehungen, der Rüde füttert auch die Fähe, wenn diese in den letzten Tagen vor der Geburt der Jungtiere im Bau bleibt.
Die Opportunisten und Generalisten unter den Tieren können sich in urbanen Räumen gut behaupten. Aber die Lebenserwartung der Füchse ist auf dem Land höher als in der Stadt, das heißt, Stadtfüchse werden weniger alt, weil sie früher, jünger sterben. In der Stadt darf nicht gejagt werden, aber deutschlandweit wurden in der Jagdsaison 2017/18 etwa 426.000 Füchse geschossen.
Sophia Kimmig
ist Evolutionsbiologin am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung und untersucht für ihre Doktorarbeit, wie Füchse sich an einen veränderten Lebensraum anpassen. Am Montag, 4. März wird sie beim BUND, Crellestraße 35 in der „offenen Gesprächsrunde Stadtnaturschutz“ ab 18 Uhr über „Füchse in der Stadt“ sprechen.
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