30 Stunden ohne Strom

Foto: Jörg Carstensen/dpa

Die Tram kriecht langsam und ruckelnd über die Lange Brücke am Köpenicker Schloss, hinter uns glitzert das Licht der Straßenlaternen auf dem Wasser, jenseits des Flusses erwartet uns ein schwarzes Loch. Die Tram hält und öffnet ihre Türen. Die Menschen drängen heraus, stumm und zielstrebig. Das einzige Licht kommt von den Scheinwerfern der Autos, die langsam an uns vorbeifahren, weil auch die Ampeln ausgefallen sind.

Ich denke an Afrika, als ich dort stehe und auf einen Moment warte, um die Straße zu überqueren. An die Zeit, die ich in Ghana, Tansania und Togo verbracht habe und an die vielen Stromausfälle. Ich denke an das Herzklopfen, wenn plötzlich die Musik mitten im Lied abbricht, der Ventilator langsam ausklappert und Dunkelheit über dem ganzen Stadtviertel liegt. Ich denke daran, wie die Menschen gleichzeitig zusammen- und voneinander abrücken, weil sie nicht wissen, ob jemand die Dunkelheit ausnutzt. Stromausfälle nehmen die Kontrolle.

Später sitze ich mit meinem Mann auf dem Sofa, eingerollt in eine Decke. Überall brennen Kerzen und alles, was wir sonst tun, ist gerade nicht möglich: kochen, waschen, Netflix schauen, im Internet surfen – so banal, so sehr fehlt es uns jetzt. Am nächsten Tag werde ich bei Twitter lesen, wie sehr sich die Menschen darüber gefreut haben, die ganze Technik einmal los zu sein, sich zu unterhalten, sich zu entspannen. Und auch wir entspannen uns, wir liegen herum, lesen ein bisschen im Licht der Taschenlampe, hören den Sirenen auf der Straße zu – und schlafen schließlich um acht Uhr ein. Es ist dunkel und so still, wir schlafen lange.

Als am nächsten Morgen der Strom nicht zurück ist, wie versprochen, werden wir unruhig. Das Haus ist kalt, wir ziehen uns im Kerzenschein an und fahren schnell Richtung Arbeit. Zivilisation, Nachrichten!

Am Abend sitzen wir wieder im Kerzenlicht. Langsam wird es kalt, 16 Grad zeigt das Thermometer. Mein Mann trinkt Schnaps gegen die Kälte und erzählt von Russland. Dort waren die Stromausfälle schneller behoben als in Berlin. In Afrika übrigens auch.

Ich erinnere mich an das Gefühl, das ich in Afrika oft hatte, wenn der Ventilator wieder ansprang und das Licht anging: Erleichterung, aber auch ein leichtes Bedauern, weil alles plötzlich wieder normal war.

Mittwochabend, 19 Uhr: Inzwischen sind wir seit fast dreißig Stunden ohne Strom. Ich schreibe beim Schein einer Kerze. Hätten wir das nötige Equipment, wie zum Beispiel einen Kachelofen, wäre es wirklich sehr gemütlich.

Um Viertel nach sieben geht das Licht wieder an. Wir werfen die Waschmaschine an, die Spülmaschine, den Backofen, den Wasserkocher. Der Zauber ist vorbei. Steffi Unsleber