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Die Brüste im Kaninchenstall

Das LCB hatte die japanischen Schriftstellerinnen Yoko Tawada und Yuko Chigara zu Gast

Von Mira Nagel

„Wie ist das, wenn man eine Fremdsprache nicht nur von außen, sondern in ihr lernt?“ – das fragte sich Yoko Tawada, als sie 1982 von Tokio nach Hamburg zog – ohne auch nur ein Wort Deutsch sprechen zu können. Die Antwort auf die Frage erschloss sich der japanischen Autorin, indem sie begann, auf Deutsch zu schreiben. Viel Zeit ist seitdem vergangen. Mittlerweile publiziert die erfolgreiche Schriftstellerin in beiden Sprachen.

Am Montagabend war sie gemeinsam mit der aus Tokio stammenden Autorin Yuko Chigara zu Gast im Literarischen Colloquium am Wannsee. Vor einem interessierten Publikum, darunter auffallend viele StudentInnen, gaben die Schriftstellerinnen einen Einblick in ihr literarisches Schaffen – das weder in Japan noch in Deutschland zu verorten ist, sondern sich vielmehr zwischen den Kulturen, genauer, zwischen Tokio und Berlin, bewegt.

Yuko Chigara arbeitet im Rahmen der Grenzgänger-Rechercheförderung in Berlin. Auf die Fragen der Moderatorin Elena Giannoulis, Juniorprofessorin für japanische Literatur, antwortet die zierliche Künstlerin mit Bedacht. „Jeder Tag hier gibt viele Inspirationen“, beschreibt die Autorin ihre Zeit in Berlin. Sie plane ein Theaterprojekt mit Berliner Künstlerinnen – und möchte die hiesige Theaterszene in einem Buch porträtieren. Zu diesem Zweck führt Chigara ein Berlintagebuch. Von ganz alltäglichen Problemen, angefangen bei der Wohnungssuche und über die (Un-)Verträglichkeit der europäischen Lebensmittel bis hin zu Erfahrungen, die sie in ihrer Arbeit am Theater sammelt, berichtet sie in ihren Notizen.

Ihre Erzählung „Sweet summer orange Kindergarten“, in die sie an diesem Abend mit ihrem Übersetzer Christoph Petermann einen Einblick gewährt, handelt von den Unsicherheiten einer Heranwachsenden. Die Bilder, die sie dabei verwendet, haben etwas Surreales an sich. Etwa als die Protagonistin Monsun auf der Suche nach Geborgenheit in den Kaninchenstall ihres Kindergartens kriecht – um dort auf einmal ihre verloren geglaubten Brüste zu finden, die von rotäugigen, zähnefletschenden Kaninchen aufgespeist werden.

„Die Veränderung, die bei der Suche nach dem Verlorenen passiert, ist das Wichtige“, sagt die Künstlerin und stellt dabei die zentrale Thematik ihrer Coming-of-age-Erzählung heraus.

Chigara wählt im Japanischen bewusst ein männliches Personalpronomen für die Ich-Erzählerin. Sie wolle damit die Geschlechtsunterschiede, die in der japanischen Sprache sehr dominant sind, verschwimmen lassen, erklärt die Künstlerin mit dem grünen Kleid, die mit ihrer Gestik sehr bedachtsam das Gesagte unterstreicht. Auch Yuko Tawada, an diesem Abend rechts von ihr platziert, setzt sich in ihrem literarischen Schaffen mit Geschlechterproblematiken und dem Surrealen, Absurden auseinander.

Ihr Roman „Sendbo-o-te“, aus dem die Schauspielerin Nina West an diesem Abend vorliest, bezieht sich jedoch stärker auf die gesellschaftliche, politische Dimension. Der Roman, der drei Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima entstanden ist, entwirft ein Japan, das nach einer Katastrophe alle Verbindungen zur Außenwelt gekappt hat. Sehr poetisch evoziert die Autorin dabei eine Welt, in der die Alten nicht sterben und die Kinder krank geboren werden. Gleichzeitig flicht sie Erzählungen darüber ein, wie Japaner und Europäer mit Katastrophen umgehen. Yuko Tawada greift dabei auch eine Stimmung auf, die für sie in Japan spürbar ist: die Sehnsucht nach der vormodernen Edo-Zeit.

Im Anschluss an die Lesungen der Autorinnen führte die Künstlerin Naoko Tanaka eine eindrucksvolle Licht-und- Schatten-Performance auf, die durch das literarische Schaffen Tawadas und Chigiras inspiriert wurde.

Weitere Lesung von Yoko Tawada im LCB am 7. März um 19.30 Uhr

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