Katrin Seddig Fremd und befremdlich: Warum kritisieren wir Kinder, die für den Erhalt des Planeten auf die Straße gehen?
Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Warst du am Freitag auf der Demo?“, fragt das jüngere Mädchen das ältere Mädchen. „Ich wollte, aber wir hatten da diese Sache…“, sagt das ältere Mädchen, das kurz vor den Abiturprüfungen steht und dem Unterricht für den Moment doch eine gewisse Wichtigkeit zugesteht. Während das ältere Mädchen schon auf einigen Demos war, ist das jüngere Mädchen das erste Mal so richtig dabei. Und ja, es ist doch auch schön, am Freitag den Unterricht zu schwänzen und sich mit anderen auf dem Rathausmarkt zu vergnügen. Denn ein Vergnügen ist es auch.
„Sollen sie doch nach der Schule streiken, statt die Schule zu schwänzen“, sagt irgendeiner, und auch ich denke, in ihrer Freizeit würden einige einfach nicht kommen, zu diesem Klimastreik. Einigen ist es ein großes Vergnügen, an diesem Event teilzunehmen. Von den Erwachsenen kommt entweder volle Zustimmung, Stolz, wenn es etwa die eigenen Kinder sind, die sich da engagieren, oder auch Häme, von Menschen, die vielleicht keine Kinder haben oder deren Kinder nicht teilnehmen oder die selbst unter größeren Repressionen zu leiden hatten, wegen ihres eigenen Engagements, damals, weißt du noch. Denn auszustehen haben diese Kinder nichts. Es sind keine armen Kinder. Es sind Kinder, die in jedem Jahr ein neues Smartphone bekommen.
Nachdem wir dies geklärt haben, möchte ich alle diese Vorwürfe, die streikenden, demonstrierenden, schulschwänzenden, sich vergnügenden und/oder empörenden Kindern und Jugendlichen gemacht werden, mit einer einzigen, heftigen Bewegung vom Tisch fegen. Denn: Es spielt keine Rolle, dass sie sich vergnügen. Das Vergnügen auf Demonstrationen und/oder Streiks ist erlaubt. Ich war auch schon auf vielen Demonstrationen, selbst die, auf denen es zuweilen gefährlich war, hatten so einen vergnüglichen Anteil. Warum sollen wir uns nicht vergnügen, bei dem, was wir tun? Warum sollen wir nicht euphorisch und stolz sein, wenn wir uns mit anderen zusammen für etwas einsetzen? Und woher wissen wir, dass diese Kinder nicht in ihrem Inneren auch und gleichzeitig Angst haben, traurig sind? Sollen sie feiern, sollen sie die Schule schwänzen, sich tummeln und etwas hinausposaunen, auch wenn es sie erst einmal nichts kostet.
Kosten würde es sie was, wenn sie aufhören würden mit dem Shoppen, mit dem Verschwenden, wenn sie beginnen würden, sich ernsthaft und auch in ihrer Freizeit zu engagieren. Und das ist dann der nächste Schritt. Eine Greta Thunberg, die ja am Freitag nach Hamburg kommt, ist schon eine richtige Kämpferin und ein Vorbild. Sie verzichtet auf vieles. Auf regelmäßigen Schulunterricht, auf Unauffälligkeit, sie macht sich angreifbar und sie lebt mit diesen Angriffen. Alles eine Option. Auch für unsere Kinder. Ein Weg. Es interessiert mich gar nicht, ob diese Greta Thunberg instrumentalisiert wird, das hat doch nichts mit ihr zu tun.
Die Kinder, auch die, die hier am Freitag die Schule schwänzen, die sind so unvollkommen und selbstsüchtig, wie ihre Eltern, wie Menschen im Allgemeinen. Aber sie sehen hier eine Möglichkeit, einen Weg, an etwas Wichtigem teilzunehmen, ein Teil von ihnen vorerst nur als Nachahmer und wenig kampfbereit, aber die Sache, um die es geht, ist so groß und so wichtig für ihr Leben, für uns alle, dass jede Kritik an diesen Details mir kleinlich vorkommt. Warum kritisieren wir Kinder, die für die Erhaltung des Planeten auf die Straße gehen? Es sind ihre Eltern, die Kinder haben nun mal keine anderen. Sie können sie nicht ändern.
Wir alle leben in einer egoistischen, unvollkommenen Welt. Aber wenn wir keinen Protest wagen können, weil er nur unvollkommen ausfallen kann, dann können wir nur noch die Augen zumachen. Ich schäme mich für die Kritik an Kindern, die für die Zukunft unserer Welt auf die Straße gehen. Ich möchte diese Kinder ermutigen. Vielleicht sind sie heute da, weil sie Mathe schwänzen wollten. Aber morgen begreifen sie, dass sie etwas bewirken können, dass sie eine Macht sind, wenn sie etwas riskieren und sich zusammen für etwas einsetzen.
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