: Ein Enfant terrible feiert Geburtstag
Die Waldorfschulen begehen in diesem Jahr ihr Hundertjähriges – mittlerweile ohne Zigaretten
Emil Molt, Direktor der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stuttgart, wollte den Kindern seiner Arbeiter eine gute Schulbildung ermöglichen – und er bat den österreichischen Publizisten Rudolf Steiner, Jungen und Mädchen gemeinsam pädagogisch zu betreuen. So kam es 1919 zur Gründung der ersten Waldorfschule, deren Spiritus rector Steiner wurde.
100 Jahre später wird das vom Bund der Freien Waldorfschulen und der Internationalen Konferenz der Waldorfschulbewegung das ganze Jahr lang gefeiert. Teile von Rudolf Steiners esoterischer Weltanschauung stehen bis heute in der Kritik. Die auf Grundlage von Steiners anthroposophischer Lehre errichteten Waldorfschulen sind gleichwohl ein Erfolgsmodell.
Heute gibt es allein in Deutschland 245 Waldorfschulen mit rund 87.000 Schüler*innen, weltweit sind es über 1.000 Schulen und knapp 2.000 Waldorfkindergärten in rund 80 Ländern.
Vor allem im ländlichen Raum, im Osten Deutschlands und in einigen osteuropäischen Ländern wächst die Waldorfschulbewegung. In den ostdeutschen Bundesländern gibt es bisher allerdings auch nur wenige Waldorfschulen, in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zum Beispiel gerade mal 15; in Chemnitz ist eine weitere in Gründung.
Die Waldorfpädagogik scheint auch deshalb so attraktiv sein, weil viele andere Schulen vorrangig auf strikte Lehrpläne und Auswendiglernen setzen. Die Waldorfschulen haben dagegen als Einrichtungen in freier Trägerschaft mehr Spielraum, ihre Pädagogik orientiert sich an den Stärken jedes einzelnen Kindes. Untersuchungen des Bildungsforschers Heiner Barz, Professor für Erziehungswissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, zeigen dann auch, dass sich Schüler an Waldorfschulen individuell besser gefördert fühlen. Und mit der „Stuttgarter Erklärung“ im Jahr 2007 hat sich der Bund der Freien Waldorfschulen immerhin auch deutlich von den diskriminierenden und rassistischen Formulierungen seines Gründervaters distanziert und zu den Menschenrechten bekannt. Einem gesellschaftlichen Trend können jedoch auch die Waldorfschulen nicht entgehen: dem Mangel an Lehrern. Über 500 Stellen sind an den deutschen Waldorfschulen derzeit unbesetzt. Ein Grund für diesen hohen Stand dürfte sein, dass die die Waldorfpädagogik viel Eigeninitiative von den Lehrkräften verlangt. (os)
www.waldorf-100.org
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