: Der stets milchige Himmel
Laurenz Berges ist Meisterschüler von Bernd Becher, dem Mitbegründer der Düsseldorfer Fotoschule. Mit dieser recht strengen Lehre im Kopf hat er seine Heimatstadt Cloppenburg fotografiert und eingefangen, wie schroff der Übergang von Natur zur Zivilisation hier ist
Von Bettina Maria Brosowsky
Ist von der Düsseldorfer Fotoschule die Rede, jener durch Bernd und Hilla Becher Mitte der 1970er etablierten, formal recht strengen fotografischen Kompositionslehre, fallen meist die Namen Candida Höfer, Thomas Struth oder Thomas Ruff. Und natürlich Andreas Gursky, der seine riesigen Werke mittlerweile zu Millionenpreisen verkauft. Die Becher-Doktrin aus Mittel- bis Großformattechnik, meist frontaler Sicht auf die menschengemachte Umwelt, traditionell in Schwarz-Weiß und verpflichtend als Serie konzipiert, hat aber immer auch unspektakuläre Auslegungen erfahren. So etwa durch Tata Ronkholz, die in ihren melancholischen Bildfolgen unseren Blick auf rheinländische Trinkhallen lenkte.
Auch der 1966 geborene Laurenz Berges hat seine Studien ebenfalls bei Bernd Becher abgeschlossen, 1996 als dessen Meisterschüler. Und er hat auch diesen verhaltenen Blick auf die Dinge, wie sie nun mal sind. Das zeigt sich besonders in seiner Serie „Cloppenburg“, die in einer geballten Fülle von 52 Aufnahmen nun erstmals im Braunschweiger Museum für Photographie gezeigt wird. Danach wandert die Ausstellung nach Nürnberg, wird dort sicherlich ganz anders wahrgenommen werden als im Norden Deutschlands, der ja vertraut ist mit der latenten Tristesse aus plattem Land und nieselregnendem Schietwetter, wie sie Berges fotografisch bannte.
Die Bilder aus seinem Geburtsort, erzählt Laurenz Berges, sind 1989 und 1990 entstanden. Er hatte vorher sein Studium in Essen begonnen und ein Jahr in New York als Assistent der Fotografin Evelyn Hofer gearbeitet, jener deutschstämmigen jüdischen Immigrantin, die gern als die berühmteste unbekannte Fotografin Amerikas bezeichnet wird. Sie stand einerseits in einer sozialdokumentarisch europäischen Tradition, andererseits griff sie bereits in den 1950ern zum Farbfilm, der damals noch als amateurhaft und vulgär verpönt galt, und ebnete so einer amerikanischen Linie den Weg, die entlang alltäglicher Banalitäten arbeitet.
Evelyn Hofer empfahl Berges, seine Wurzeln in Deutschland zu suchen, sich aber auch stets zu fragen, worum es ihm in einer fotografischen Arbeit geht. Ein Thema müsse er sich zudem erschließen. Hofer, die für ihre Bildessays umfangreich recherchierte und sich lange in eine Situation einstimmte, ehe sie zur Kamera griff, ist sicherlich ein Vorbild für Berges geworden.
Er nennt als weitere Hausheilige den Doyen der amerikanischen Dokumentarfotografie, Walker Evans, und dessen geistigen Nachfolger, den Exil-Schweizer Robert Frank. Mit diesen Granden im Gepäck und gehöriger Distanz durch seinen USA-Aufenthalt näherte sich Berges seiner Heimatstadt Cloppenburg.
An dem Kuriosum der katholischen Enklave im protestantischen Nordwesten der Bundesrepublik interessierten Berges nicht das Stadtzentrum, die mittlerweile in Verruf geratene Fleischindustrie und erst recht nicht das bekannte Museumsdorf. Es war die Peripherie, das absolut Unspektakuläre. Selten sind Menschen in Berges’Bildern, dafür jede Menge von dem, was sie gebaut, angelegt oder hinterlassen haben. Und er fand vieles, das auf feine Weise amüsiert und den Blick aufs allzu menschliche Unzulängliche lenkt. Wie die Straßen, die abrupt enden, sei es vor der Leitplanke einer Fernverbindung oder es einfach in der Pampa, am Ende aber noch mit einer Straßenlaterne gesichert.
Der Übergang von Zivilisation zur Natur ist oft schroff: Ein rotes Klinkermäuerchen etwa gibt einem Textilladen noch ein wenig physischen wie symbolischen Halt, bevor die Ackerfurche beginnt, das Straßenschild steht schon im Agrarland. Das ist der wohl funktionslose Zigarettenautomat in einem Garagenhof, da sind die verlassenen Einkaufswagen, wahlweise hinter einer Lagerhalle oder auf einem nächtlich beleuchteten Parkplatz.
Auch die Firma „Ernst Nipp u. Co.“ mit ihrer stattlichen Produktionshalle hat wohl schon mal bessere Zeiten gesehen. Diese Aufnahme ist ganz Becher-klassisch frontal angelegt und schichtet sich über Straße, Rad- und Fußweg und breite Rasenfläche bis zur gedämpft rostroten Fassade. Andere Fotos scheinen mit ausgeprägter Diagonale beherzt ins Nirwana weisen zu wollen. Und stets ist der Himmel milchig, die Stimmung „moderat bis bleiern“, sagt Berges. Er sei nicht analytisch ans Werk gegangen, sondern hatte eine vage Vorstellung, folgte dann seiner Intuition und ließ auf langen Spaziergängen, die handliche Mittelformatkamera und ein kleines Stativ dabei, die Eindrücke wirken. Die Fotografien entstanden fast wie von selbst: „Das Leben bildet sich ab“, sagt er.
Etwas später zog es ihn in die ehemalige DDR. Erst interessierte er sich dort für verlassene Kasernen, danach waren es die leeren Behausungen in Etzweiler, im rheinländischen Tagebau Hambach. „Absurde Kulissen“, sagt Berges. Für neuere Arbeiten wechselt er mitunter das Filmformat, arbeitet mit der Plattenkamera. Aber auch diese setzt er nicht sachlich dokumentierend ein, sondern fängt etwa in Duisburg mit extrem langer Belichtungszeit „unmögliche Perspektiven“ ein, wie er es nennt. Es sind Ausschnitte, die, selbst wenn es nun etwas pathetisch wird, vom Verstreichen der Zeit, der Vergänglichkeit und der Absurdität des Lebens berichten. Sie sind höchst subjektive Deutungen einer Wirklichkeit, denn der Akt des Fotografierens ist nie objektiv.
Ausstellung „Laurenz Berges. Ort und Erinnerung“: Museum für Photographie Braunschweig, bis zum 31. März
Katalog „Cloppenburg“, Koenig Books, London, 38 EUR
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