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Rückschritt in Zeiten von Atomkriegsgefahr

Heute beginnt die Münchner Sicherheitskonferenz. Es geht um viel, doch die Erwartungen sind niedrig

Von Andreas Zumach und Pascal Beucker

Jens Stoltenberg gibt sich gesprächsbereit. Zumindest offiziell will der Nato-Generalsekretär das INF-Abrüstungsabkommen noch nicht abschreiben. „Unser Hauptfokus ist es, den Vertrag zu erhalten“, sagte er am Rande eines Treffens mit den VerteidigungsministerInnen der 29 Nato-Mitgliedsstaaten in Brüssel. Auf der an diesem Freitag beginnenden Münchner Sicherheitskonferenz werde er darüber auch mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow sprechen. Viel bringen dürfte das allerdings nicht.

Bei ihrer Zusammenkunft am Mittwoch und Donnerstag in Brüssel berieten die Nato-VerteidigungsministerInnen erstmals, wie sie mit dem drohenden Ende des Verbots landgestützter Mittelstrecken­systeme in Europa umgehen wollen. Doch viel mehr als wohlfeile Appelle an Russland kamen dabei nicht heraus. Auch in München dürfte es an diesem Wochenende nicht zu einer Annäherung kommen.

Immerhin versicherte Stoltenberg, die Nato wolle „kein neues Wettrüsten“. Aber das ist nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Denn nachdem Anfang Februar zunächst die Trump-Administration in Washington und dann auch die Regierung Putin in Moskau den Austritt aus dem INF-Mittelstreckenabkommen von 1987 angekündigt haben, droht genau das: ein neuer atomarer Rüstungswettlauf in Europa. Er könnte noch weit gefährlicher werden als die Aufrüstung mit sow­jetischen SS-20 sowie US-amerikanischen Pershing II und Cruise Missiles in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahr­hunderts.

Die Trump-Administration rechtfertigt ihren Ausstieg aus dem INF-Abkommen mit dem Vorwurf, Russland habe unter Verstoß gegen den Vertrag eine neue landgestützte Mittelstreckenrakete vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8) entwickelt mit Reichweiten bis 2.600 Kilometern. Moskau bestreitet den Vorwurf der Vertragsverletzung und erklärt, die neue Rakete bleibe mit lediglich 480 Kilometern Reichweite unterhalb der Verbotsgrenze des Abkommens.

Umgekehrt behauptet Russland, die USA würden mit ihrem im rumänischen Deveselu sowie in Polen stationierten Raketenabwehrsystem vom Typ Aegis Ashor gegen das INF-Abkommen verstoßen. Denn die Startgeräte vom Typ MK 41 für die Abwehrraketen würden die USA auch auf Kriegsschiffen für den Abschuss von seegestützten Marschflugkörpern vom Typ Tomahawk verwenden. Daher, so Moskau, könnten diese Marschflugkörper auch von dem landstationierten System in Rumänien abgeschossen werden. Washington bestreitet dies.

In Kraft treten die Austritts­ankündigungen der USA und Russlands allerdings erst am 2. August. Bis dahin sind noch sechs Monate Zeit, diesen hochgefährlichen Rückschritt in eine Zukunft mit wieder erhöhter Atomkriegsgefahr zu verhindern. Doch die Aussichten dafür stehen schlecht.

Das endgültige Ende des INF-Vertrages würde nicht nur zu einem neuen gefährlichen atomaren Rüstungswettlauf der USA und Russlands in Europa führen, sondern auch global. Die Chance, dass sich Washington und Moskau dann noch auf ein Nachfolgeabkommen für den 2021 auslaufenden START-Vertrag mit Obergrenzen für strategische Atomsprengköpfe und ihre Trägersysteme einigen können, werden von Rüstungskontrollexperten als minimal be­urteilt. Bislang haben Washington und Moskau noch nicht einmal Verhandlungen über ein START-Nachfolgeabkommen aufgenommen. Im schlimmsten Fall könnte es auch zu einer Aufkündigung des Atomteststopp-Abkommens kommen.

Als US-Präsident Trump den Austritt aus dem INF-Abkommen im Oktober 2018 erstmals androhte, benannte er zur Rechtfertigung neben angeblichen Vertragsverstößen Russlands auch die heutigen Mittelstreckenraketen in China, Indien, Iran, Nordkorea und anderen Ländern, die bei Abschluss des INF-Vertrages im Dezember 1987 noch nicht existierten.

Allein China verfügt heute über rund 2.000 Mittelstreckenraketen, die mit Reichweiten von über 2.000 Kilometern US-amerikanische Ziele im Pazifik und im asiatischen Meer erreichen können. Trump forderte, der bilaterale INF-Vertrag zwischen Washington und Moskau müsse multilateralisiert und auf China und andere Länder ausgeweitet werden. Das ist aus friedens- und rüstungskontrollpolitischer Sicht durchaus eine richtige Forderung. Nur ist die Zerstörung des bestehenden bilateralen INF-Vertrages mit Sicherheit der falsche Weg, zu einem multilateralen Abkommen zu gelangen.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wird die Auseinandersetzung um den INF-Vertrag einen zentralen Raum einnehmen. Für dieses Jahr rechnen die VeranstalterInnen insgesamt mit rund 600 TeilnehmerInnen, darunter 35 Staats- und RegierungschefInnen sowie 80 Außen- und VerteidigungsministerInnen. Angeführt von Vize­präsident Mike Pence und dem geschäftsführenden Verteidigungsminister Patrick Shanahan wird die US-Delegation so zahlreich wie noch nie sein. Auch der russische Außenminister Sergei Lawrow wird mit einem größeren Anhang anreisen.

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