Filmab!

Foto: Ashley Gilbertson /VII/Redux/laif

Wenn am 7. Februar die 69. Berlinale beginnt, gehen die ewiggleichen Bilder durch die Nachrichten: Roter Teppich. Stars. Blitzlicht. Und dazwischen huscht ein letztes Mal Dieter Kosslick als Festivaldirektor umher und busselt jüngere Schauspielerinnen.

Während sich der öffentliche Fokus fast nur auf die große Bühne des Wettbewerbs richtet, verpasst er das Wesentliche der Berlinale. Das Programm, das am Dienstag vorgestellt wurde, umfasst 400 Filme und die decken mal wieder so ziemlich alles ab, was sich mit den Mitteln des bewegten Bildes darstellen lässt. Vor allem die Sektion „Forum“ ist dafür berüchtigt, dass kein Sujet zu abseitig sein kann, keine filmische Form zu radikal, kein dargestelltes Milieu zu winzig.

Der unbedingte Wille zum Ungewöhnlichen ist ein Trumpf des Festivals, er öffnet die Gedanken – ist über die Jahre aber auch zu einer Parodie seiner selbst geronnen, die sich in den kurzen, in unverwechselbarem Stil verfassten Beschreibungen im Programmheft des Festivals manifestiert. Um die Vorfreude zu steigern, stellen wir hier unsere neun Festivalfavoriten vor – von denen wir uns einige allerdings nur ausgedacht haben. Wissen Sie, welche?

Michael Brake

Nán dĭ (Hard to reach)

von Nëghmet Dilmurat, Kasachstan 2019, dokumentarische Form, 137 Minuten

In der Gurbantünggüt-Wüste im Westen Chinas liegt der Pol der Unzulänglichkeit: Keine Stelle der Erde ist weiter vom Meer entfernt. Er ist der Ausgangspunkt der filmischen Meditation Nëghmet Dilmurats, welche die ausweglose Lage der Uiguren auf poetische Weise verhandelt.

Fortschritt im Tal der Ahnungslosen

von Florian Kunert, Deutschland 2019, 67 Minuten

Neustadt in Sachsen. In den Ruinen des ehemaligen DDR-Betriebs „Fortschritt“ leben die Erinnerungen an die Werkskultur und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und Syrien auf, indem ehemalige Arbeiter*innen auf syrische Geflüchtete treffen.

Wir sind Lemuren

von Leonie von Darrelmann, Deutschland 2019, 93 Minuten

Marie sucht die Liebe im Internet. Jonas verzweifelt an den Ansprüchen des Feminismus. Lynn kämpft darum, als Mann akzeptiert zu werden. Auf der Suche nach Identität und Geborgenheit lassen sie sich durch die Nächte im Leipziger Osten treiben.

37 Seconds

von HIKARI, Japan 2019, Japanisch, 115 Minuten

Die 23-jährige Yuma sitzt wegen einer Zerebralparese im Rollstuhl, einen Zeichenstift kann die Man­ga­ka aber halten. Auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben, weg von der überbehütenden Mutter, stolpert sie über Manga-Pornos.

Nurr sermer (Pomegranate seeds)

von Anna Torosyan, Armenien/Frankreich 2019, 108 Minuten

Unter dem Granatapfelbaum, wo sie als Kinder spielten, treffen sich Moko und Arthur nach 30 Jahren wieder. Sie lebt in Paris, er hat im postsowjetischen Armenien nie Halt gefunden. Ein Dialog entspinnt sich, erst zaghaft, dann zornig, in dem sich die ganze Zerrissenheit des Landes entlädt.

Mother, I Am Suffocating. This Is My Last Film About You

von Lemohang Jeremiah Mosese, Lesotho 2019, 76 Minuten

Eine junge Frau trägt ein Holzkreuz durch Lesotho. Um sie herum staubige Straßen, Gesichter, eine Schafherde und Hände, die unablässig stricken. Eine raue Off-Stimme formt den Bilderfluss zum filmischen Abgesang des exilierten Regisseurs auf seine Heimat.

Die Kinder der Toten

von Kelly Copper und Pavol Liska, Österreich 2019, 90 Minuten

Doppelgängerinnen, Untote, eine Nazi-Witwe, ein suizidaler Förster und eine syrische Dichterfamilie geistern durch die Steiermark. Ein Super-8-Stummfilm nach Motiven des gleichnamigen Romans von Elfriede Jelinek – Heimatfilm und Home Movie Horror zugleich.

Brief History from the Green Planet

von Santiago Loza, Argentinien/Deutschland/Brasilien/Spanien 2019, 75 Minuten

Tania erfährt, dass ihre Großmutter die letzten Lebensjahre in der liebevollen Gesellschaft eines Aliens verbracht hat. Zusammen mit zwei Freund*innen reist die Trans*frau durch das ländliche Argentinien, um die Kreatur an ihren Ursprungsort zurückzubringen.

Born in the U.S.A.

von Bert Dresser, USA 2019, dokumentarische Form, 78 Minuten

Im Radio läuft Bruce Springsteen, doch Kunden kommen nur selten in die Autowerkstatt von Lloyd Bunnington. In Evansville, Indiana, existiert ein Amerika der Abgehängten. Bert Dresser reist durch den Rust Belt und macht sich im Modus Didier Eribons auf die Suche nach Erklärungen.