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Schwester Leichtfuß

Serena Williams verspielt im Viertelfinale der Australian Open gegen Karolina Pliskova auf rätselhafte Weise eine klare Führung und mehrere Matchbälle

„Ich habe getan, was ich konnte“: Serena Williams zeigt vollen Einsatz Foto: dpa

Aus Melbourne Doris Henkel

Manche Menschen sind einfach nicht zu einem heimlichen, leisen Abschied durch die Hintertür geschaffen. Diesmal verlor die erfolgreichste, berühmteste und schillerndste Tennisspielerin der Welt nicht die Nerven und die Fassung, sondern nur eine Partie, aber es kann dennoch niemand behaupten, den Ereignissen habe die dramatische Note gefehlt. Serena Williams führte 5:1 im Viertelfinale der Australian Open und hatte Matchball gegen Karolina Pliskova, doch zuerst stoppte sie sich selbst mit einem Fußfehler, dann knickt sie um und verlor den Punkt. Danach gewann sie kein einziges Spiel mehr, vergab weitere drei Matchbälle beim 6:4, 4:6, 5:7, und das war es dann mit ihren Ambitionen, den achten Titel in Melbourne zu gewinnen, den 24. bei einem Grand-Slam-Turnier.

Selbst aufmerksamste Beobachter konnten sich auf Anhieb nicht erinnern, wann Williams zum letzten Mal eine derart klare Führung vergeben hatte. Die Recherche für die letzte Niederlage nach einem ver­gebenen Matchball im Rahmen eines Grand-Slam-Turniers führte zurück ins Jahr 2010, ins Viertelfinale der French Open. Anderthalb Sätze lang hatte man ihr die Anstrengungen des Spiels in der Runde zuvor gegen Simona Halep deutlich angesehen; sie machte in vielen Ballwechseln einen recht erschöpften Eindruck, und im Gegensatz zum Spiel gegen Halep versuchte sie auch nicht, mit Gebrüll eine Schneise zum Sieg zu schlagen.

Serena Williams macht kein Geheimnis aus ihrem Plan, alle Rekorde zu brechen und der Welt des Tennis ein ganz und gar einzigartiges Vermächtnis zu hinterlassen – wobei dieses Vermächtnis zugegebenermaßen keinen weiteren Grand-Slam-Titel braucht, um einzigartig zu sein. Seit sie im vergangenen Jahr beim Turnier in Indian Wells als Mutter der kleinen Alexis Olympia zurückkehrte, war sie nie besser in Form als in diesen ersten Wochen 2019. Ihr langjähriger Coach Patrick Mouratoglou hatte vor ein paar Tagen gesagt, sie sei auch im vergangenen Jahr schon sehr motiviert gewesen, aber er habe damals den Eindruck gehabt, es sei noch zu früh für sie gewesen. Diesmal aber, das versicherte er mit Nachdruck, werde sie gewinnen.

Schwer zu sagen, warum sie so untypisch vom Weg abkam, als sie das Tor zum Halbfinale schon weit aufgestoßen hatte und nur noch ein letzter Schritt fehlte. Spielte der Fuß­fehler beim ersten Aufschlag zum ersten Matchball eine Rolle? Fühlte sie sich vielleicht in diesem Moment ungerecht behandelt, wagte es aber nach dem spektakulären Ausraster im ­Finale der US Open gegen Naomi Osaka nicht zu protestieren? Welche Rolle spielte der Schmerz im linken Fuß, nachdem sie während des Ballwechsels zum Matchball kurz umgeknickt war? Sie selbst meinte hinterher, sie habe das Gefühl gehabt, es sei nicht so schlimm, aber Genaueres wisse man natürlich erst in den nächsten Tagen.

Nach vergebenem Matchball verlor sie bei einem Grand-Slam-Turnier zuletzt 2010

Oder hatte dieser folgenschwere erste Matchball in allererster Linie mit Karolina Pliskovas furchtlosem Spiel zu tun? Dem vergebenen ersten folgten ein Doppelfehler und ein weiterer Fehler von Williams, und von diesem Moment an trennten sich ihre Wege.

„Ich glaube, sie hat beim Matchball einfach die Lampen ausgeschossen“, meinte Williams hinterher, Pliskova berichtete von spürbarer Nervosität bei der Kontrahentin. Im vergangenen Jahr bei den US Open hatte die Tschechin im Viertelfinale gegen die Amerikanerin verloren, diesmal gönnte sie sich am Ende die vielleicht besten 20 Minuten ihrer Karriere, wehrte beim Stand von 4:5 drei weitere Matchbälle ab und nutzte später die Chance beim eigenen Matchball Nummer drei. Im Gegensatz zur denkwürdigen Niederlage in New York gegen Osaka bewährte sich Serena Williams diesmal als faire Verliererin, die die Leistung der Siegerin pries und den eigenen Anteil am überraschenden Ende des Spiels minimierte. „Ich glaube, dass ich bei den Matchbällen nichts falsch gemacht habe. Ich hab getan, was ich konnte, und sie hat wirklich ihr allerbestes Tennis gespielt.“

Bis zur nächsten Chance auf Grand-Slam-Titel Nummer 24 für die Beste des Frauentennis werden mindestens vier Monate vergehen, so viel steht fest. Ebenso sicher ist, dass ab Montag ein neuer Name auf dem Sockel des Siegerpokals stehen wird angesichts der Kandidatinnen Karolina Pliskova, Naomi Osaka, Petra Kvitova und Da­nielle Collins – und dass es einen Wechsel an der Spitze der Weltrangliste geben wird.

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