Würde in der Matrix

Der Blick in die Zukunft des schwedischen Philosophen, Bestsellerautors und Politikberaters Nick Bostrom gleicht einer Science-Fiction. Mit beängstigenden Implikationen

Nick Bostrom: „Die Zukunft der Menschheit". Suhrkamp, Berlin 2018, 209 S., 18 Euro

Von Frederic Jage-Bowler

Nick Bostrom gilt als einer der großen Visionäre unserer Zeit. Er berät die britische Regierung in Sachen Künstliche Intelligenz, der Tech-Riese Elon Musk zitiert ihn regelmäßig, im Silicon Valley besitzen manche seiner Ideen Kultstatus. ­Bostrom leitet das Future of Humanity Institute der Universität in Oxford, das sich zum Ziel gesetzt hat, mit den Mitteln der Mathematik und der analytischen Philosophie zu „verstehen, welche Überlegungen bestimmen, was für die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel steht.“

Neben Veröffentlichungen zu philosophischen Spezialthemen ist Bostrom einem breiteren Publikum durch eine Reihe mathematisch hochpräziser Zukunftsszenarien bekannt geworden. Im Netz finden sich hübsch animierte Videos dazu. Da ist zum Beispiel das Büroklammer­szenario, bei dem eine „zu gut“ funktionierende KI den Untergang der gesamten Menschheit einläuten könnte. Diskussionen zu seiner Neuformulierung der Frage: „Leben wir in einer Simulation?“ ziehen im Netz Millionen von Zuschauern an.

Bostroms „Superintelligenz“ (2016) gilt als Standardwerk über die potenziell disruptiven Folgen einer Explosion künstlicher Intelligenz. Eine neue Sammlung seiner Essays wendet sich nun auch konkreten Fragen der Bioethik zu. Sein „Plädoyer für eine posthumane Würde“ ist ein Aufruf für mehr Offenheit in der Diskussion um gentechnische Veränderungen am Menschen. Dafür, so Bostrom, sollten „keine strikteren Maßstäbe als für andere menschliche Transformationen wie etwa Migration, Berufswechsel oder religiöse Bekehrungen“ gelten.

Ob gezielte Verbesserungen unserer Gesundheit und körperlichen Konstitution, die Steigerung unserer kognitiven oder emotiven Fähigkeiten: für den bekennenden Transhumanisten hängt eine gelungene „Transformation“ allein vom Willen Einzelner ab.

Ausgehend von einer Reformulierung der Würde als „Qualität“, die auf der alltagssprachlichen Unterscheidung zwischen würdevollem und -losem Verhalten beruht, entwickelt ­Bostrom eine utilitaristische Ethik individueller Lebensentscheidungen. Menschliche Würde also als Zuschreibung statt als unveräußerliche Eigenschaft, wie es die humanistische Lehre predigt. Eine provokante These, die ihm schnell den Vorwurf der Menschenfeindlichkeit einbringen dürfte. Aber offen gesagt kein schlechter Weg, um zu zeigen, dass eine conditio posthumana nicht zwangsläufig unmoralisch sein muss.

Weniger schlüssig beantwortet Bostrom dagegen die Frage, ab wann die technische Möglichkeit einer medizinischen Behandlung ihr eine ethische Notwendigkeit zukommen lässt. Denn es ließe sich einwenden, dass eine Lehre vom richtigen Handeln nicht schlicht technologisch determiniert wird, sondern auch von politisch-sozialen Faktoren.

So besaß die Heilung der Kranken in den westlichen Gesellschaften der letzten 200 Jahre stets ein egalitäres Moment. Krankheit galt als Negativabweichung einer klar definierten Norm. Medizinische Behandlung hatte zum Ziel, gleiche Lebensbedingungen für alle herzustellen, was dem humanistischen Menschenbild seiner Zeit entsprach und es im Umkehrschluss weiterprägte.

Bostroms unbedingt politisch zu ­nehmen-de Pointe jedenfalls ist eindeutig

Die Zukunft aber ist ungewiss. Gut möglich, dass verbessernde Eingriffe ins menschliche System die Lücke zwischen Durchschnitt und ihrer – diesmal positiven – Abweichung drastisch vergrößern, statt sie zu schließen. Bostrom hält es nicht für nötig, diesbezüglich konkrete ethische Kategorien einzuführen.

Dazu kommt, dass seine Beispiele körperlicher Mehrbefähigung: ein besseres Gedächtnis, ein reicheres Liebesleben – in seiner Diktion, alles was uns „kreativ, originell, exzentrisch“ sein lässt – nicht die Sprache der alten Normalisierungstendenzen sprechen, sondern eher die eines Überbietungskampfs.

Ohne es zu merken, stößt er damit an die Grenzen eines Menschenbilds, das zwar einen autonomen Willen voraussetzt, sich aber gleichzeitig dazu befähigt sieht, den Einzelnen seiner Würde zu berauben. Es ist dies Teil eines größeren liberalen Selbstwiderspruchs, wie er im Werk so unterschiedlicher Autoren wie Karl Popper, Francis Fukuyama und Yuval Noah Harari verhandelt wird, der aber die meisten Vordenker des digitalen Wandels in der Regel kalt lässt.

Bostroms unbedingt politisch zu nehmende Pointe jedenfalls ist eindeutig: Wer Veränderungen der eigenen Biochemie ablehnt, ist zweifellos selbst schuld und könnte in Zukunft als würdelos gelten. Zweifellos wäre es besser für uns, Bostrom beließe es bei den Zukunftsszenarien.