berliner szenen
: Ein Zauber ohne Wirkung

Häh? Was kann denn das sein? Hastig reißt meine Tochter das Geburtstagsgeschenk meiner Freundin A. auf und jubelt: „Ein Zauberstab, ein echter Zauberstab! So einen habe ich mir schon immer gewünscht!“ A. lächelt zufrieden: „Da habe ich ja Glück gehabt!“

Meine Tochter nickt heftig: „Ja, weißt du, Mama hatte früher auch so einen.“ A. lehnt sich zu mir und flüstert: „Wie witzig, genau deswegen habe ich den Stab ausgesucht – dein Zauberstab hat uns ja schließlich zusammengebracht.“ Kurz weiß ich nicht, was sie meint. In meiner Erinnerung haben wir uns mit 16 während einer Gedenkstättenfahrt angefreundet. Dann verstehe ich, worauf A. anspielt: Kurz vor der Reise war sie schon einmal bei mir, weil sie in meinen Nachbarn verknallt war und ich ihr in der Pause erzählt hatte, dass man von meinem Zimmer im vierten Stock aus in sein Wohnzimmer gucken kann.

Als Kind war mein Fenster zum Hof mein Fenster zur Welt. Wann immer ich nicht einschlafen konnte, beobachtete ich von meinem Hochbett aus die Menschen im Haus gegenüber. Nun stand sie an meinem Fenster und wartete auf ihren Schwarm. Als er Stunden später noch immer nicht zu sehen war, entdeckte sie meinen Zauberstab. Gemeinsam heckten wir einen Liebeszauber aus. Doch der zeigte keine Wirkung: Kurz darauf kam er mit einer anderen zusammen. Mir konnte es recht sein: Fortan galten A.s Besuche nur mir.

Am Abend ihres Geburtstages antwortet meine Tochter auf die Frage nach dem schönsten Moment des Tages: „Zauberstab auspacken.“ Als alle gegangen sind, wirbelt sie mit ihm herum und ruft: „Jetzt kann ich zaubern, was ich will!“ Ich lächele in mich hinein und sage: „Ja, aber manchmal passiert dann vielleicht nicht das, was du willst, sondern etwas anderes – und das ist dann auch gut.“ Eva-Lena Lörzer