Präsidentenwahl im Kongo: Starker Name, schwacher Charakter
Félix Tshisekedi übernimmt das höchste Staatsamt. Er ist das genaue Gegenteil von seinem Vater, der den Widerstandsgeist verkörpert hat.
Alte Kongolesen erinnern sich an den Blut getränkten Verband um seinen Kopf, nachdem die Schläger Mobutus ihn 1982 mit den anderen Mitgliedern der „Gruppe der 13“ verprügelt hatten – die Gruppe von Dissidenten der damaligen Regierungspartei, die die Union für Demokratie und sozialen Fortschritt (UDPS) gründeten.
Félix, drittes von fünf Kindern Étiennes, war damals 19 Jahre alt und teilte das Schicksal seines Vaters, der von Mobutu mit Hausarrest in seinem Heimatdorf Mupompa in Kasai bestraft wurde, eine von der belgischen Kolonialherrschaft übernommene Repressionsmaßnahme. Es waren schwierige Zeiten für den Teenager, der in der Hauptstadt Kinshasa geboren und aufgewachsen war. Mit der gesamten Familie saß er in einem Haus ohne Wasser und Strom. 1984 ging er ins Exil nach Belgien.
Aber die Kampfkraft seines Vaters hat der Sohn nicht geerbt. Sein Sieg als Präsident ist nicht minder umstritten als die Niederlage seines Vaters gegen Kabila bei den Wahlen 2011, die von internationalen Beobachtern als „nicht glaubwürdig“ gewertet wurde.
Schweres Handicap
Diesmal sind so gut alle Beobachter davon überzeugt, dass nicht Félix Tshisekedi der Wahlsieger ist, sondern Martin Fayulu von der Oppositionskoalition Lamuka. Aber Wahlkommission und Oberstes Gericht haben sich für Tshisekedi entschieden. Er tritt sein Amt mit einem schweren Handicap an, das den Startvorteil seines illustren Namens mehr als zunichte machen könnte.
Der hochgewachsene und rundliche „Fatshi“, wie man ihn im Kongo nennt, hat nicht das Temperament seines Vaters, auch wenn er während seines belgischen Exils in den 1980er Jahren die Faust zur Regelung politischer Differenzen einzusetzen wusste.
Auf einer vom Autor dieses Artikels besuchten Pressekonferenz brach er einem UDPS-Dissidenten mit einem gezielten Schlag die Nase. Im Laufe der Jahre gerierte er sich immer zurückhaltender – vor allem, seit er nach dem Tod seines Vaters am 1. Februar 2017 die Führung von dessen Partei übernahm und es darum ging, den Abgang Joseph Kabilas nach Ende der zweiten Amtszeit einzufordern.
Am 10. April 2017 rief Félix Tshisekedi zu Protesten in Kinshasa auf und reiste selbst lieber nach Addis Abeba. Am 30. November organisierte er wieder eine Demonstration – und saß solange zu Hause, bis die Polizei sein Haus eingekesselt hatte.
Flucht mit dem Auto
Vor einem Jahr nahm er an einer der katholischen Sonntagsmessen teil, bei denen die katholische Kirche die Gläubigen zum friedlichen Protest im Anschluss an den Gottesdienst aufrief. Als die Polizei die Notre-Dame-Kirche in Kinshasa besetzte, flüchtete er im Auto, statt mit den jungen Gläubigen zu marschieren und musste sich mit den Worten „Du hast uns im Stich gelassen“ beschimpfen lassen.
Lässt er seine Anhänger jetzt endgültig im Stich und wechselt auf die Seite eines ungeliebten alten Regimes? Auf jeden Fall zeigt sich bei Félix Tshisekedi eine Charakterschwäche, die mit der Schwächung seiner Partei einhergeht. War die UDPS ursprünglich die wichtigste Kraft der Demokratiebewegung, ist sie heute kaum mehr als eine Partei der Luba-Volksgruppe aus der Kasai-Region.
Die UDPS, die ihn im April 2018 zum Präsidentschaftskandidaten kürte, ist zerstritten und kennt keine innere Demokratie. Nach der Gründung im Untergrund 1982 konnte sie bis zur Abschaffung des Einparteiensystems 1990 nur im Verborgenen agieren.
Ihren ersten Parteitag hielt sie erst 2010 ab, um damals Étienne Tshisekedi zum Präsidentschaftskandidaten zu bestimmen und einen Personenkult um den Alten zu organisieren. Nach Étienne Tshisekedis Tod zogen es zwei Verantwortungsträger, Samy Badibanga und Bruno Tshibala, vor, Premierminister unter Kabila zu werden. Die Annäherung der UDPS an das Kabila-System hat nicht erst jetzt begonnen.
Mama Marthe
Seit dem Tod des Vaters ist die entscheidende Figur Félix Tshisekedis Mutter, Marthe Kasalu Tshisekedi, die alle „Mama Marthe“ nennen. Kritiker von Félix halten ihren Einfluss für so entscheidend, dass sie Félix Tshisekedi „Maman m’a dit“ nennen (Mama hat mir gesagt). Sie hat Parteikader kaltgestellt, die den Ambitionen des Sohns im Wege stehen. Die UDPS ist heute eine Familienpartei.
All das macht Félix Tshisekedis Amtsantritt nicht zu einem Bruch mit dem ebenfalls auf familiäre Bindungen gegründeten Kabila-System. Die Hardliner um Kabila haben ihn noch mit etwas anderem in der Hand: Sein Universitätsdiplom – Grundvoraussetzung für eine Präsidentschaftskandidatur – ist eine Fälschung.
Viele Kongolesen sind überzeugt, dass das Kabila-Lager sich deshalb für Tshisekedi entschied, nachdem klar war, dass Kabilas Wunschnachfolger Emmanuel Shadary die Wahl haushoch verloren hatte: Es macht ihn erpressbar.
Ohnehin gilt Félix Tshisekedi als flexibler und leichter zu beeinflussen als andere Oppositionelle im Kongo. Er scherte vor diesen Wahlen aus der gemeinsamen Oppositionsfront um Martin Fayulu aus, unter dem Vorwand, dass seine Basis dagegen sei, und akzeptierte die umstrittenen elektronischen Wahlmaschinen, die die Opposition ablehnte.
Heimliche Gespräche
Schon 2015 traf er sich zu heimlichen Gesprächen mit Kabila. Als am 22. November der neue Erzbischof von Kinshasa bei einer Zeremonie im Märtyrerstadion von Kinshasa in sein Amt eingeführt wurde, gab es Sprechchöre gegen Tshisekedi als „Verräter“.
Am 19. November 2017 erklärte Félix Tshisekedi der taz, er wolle die „Rückkehr der Diktatur“ im Kongo bekämpfen, die Joseph Kabila mit einigen „mafiösen Individuen“ verkörpere, und warnte: „All jene, die Verträge mit Kabila geschlossen haben – wenn sich die Dinge ändern, werden diese Verträge null und nichtig sein.“
Nachdem er am 10. Januar 2019 von Kongos Wahlkommission zum Wahlsieger ausgerufen worden war, erklärte Félix Tshisekedi: „Ich spreche Präsident Kabila meine Hochachtung aus. Heute müssen wir ihn nicht als Gegner, sondern als Partner im demokratischen Wandel begreifen.“ So schnell kann es gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!