Demonstrationen in Berlin 2018: Lieber stehen als gehen

13 Protestveranstaltungen am Tag – in Berlin wird für und gegen alles demonstriert. Gewalt gibt es dabei kaum; die Polizei könnte darauf reagieren.

Schilder mit der Aufschrift Solidarität und Menschenrechte vor der Siegessäule

Abschlusskundgebung der Unteilbar-Demo Foto: dpa

Berlin taz | Unbestreitbar ist „Unteilbar“ die Demo des Jahres. An Ausstrahlungskraft und Teilnehmerzahl übertraf sie alle anderen Berliner Proteste um Längen. Vorausgegangen sind ihr jedoch zwei Proteste, die für sich genommen ähnlich überraschend, spektakulär und ermutigend waren – und die auch zum Erfolg von Unteilbar beigetragen haben: die Demonstrationen gegen den Mietenwahnsinn Mitte April und gegen einen Aufzug der AfD Ende Mai. Sie waren Statements. Jeweils 25.000 Menschen zeigten, was die Mehrheit 2018 wirklich umtrieb: der gesellschaftliche Rechtsruck und die soziale Frage. Zusammengenommen waren beide Themen: Unteilbar.

Die drei Veranstaltungen ragten heraus aus einer Menge von insgesamt 4.446 bis Ende November, davon 490 Demonstrationen und 3.956 Kundgebungen – so die offizielle Statistik, die der grüne Abgeordnete Benedikt Lux in einer Kleinen Anfrage erbeten hat. Die BerlinerInnen stehen also lieber, als sie laufen, das aber zumindest mit Ausdauer.

13 Proteste unter freiem Himmel täglich – das ist das gleichbleibend hohe Niveau der vergangenen fünf Jahre. Demonstriert wird dabei für und gegen alles, was vorstellbar ist. Manche der Proteste sind egoistisch und feindselig (siehe AfD und ihre Brüder im Ungeist von „Wir für Deutschland“ oder den Fans von Hitler-Stellvertreter Heß), viele dagegen uneigennützig und solidarisch.

Demonstriert wurde gegen das Tanzverbot im Iran, gegen die Anerkennung des Brieftaubentums als immaterielles Kulturerbe, gegen die Diktatur in Togo und gegen die Ausbeutung von Tieren. Seit 2013 hat die Innenbehörde fünf Veranstaltungen verboten, im November unterlag sie allerdings vor Gericht mit ihrer Verfügung gegen eine Nazi-Demo am 9. November.

Kaum Gewalt

Rund 360.000 Polizei-Einsatzstunden sind für die Absicherung aller Veranstaltungen angefallen. Bei 718 politisch motivierten Kriminalitätsfällen hat die Polizei gerade einmal bei jeder siebten Veranstaltung eine Ermittlung aufgenommen. Entwarnung gibt es auch beim Blick auf die 214 „Gewaltdelikte“: Nur bei 69 handelt es sich um Körperverletzung, der Rest verteilt sich auf Landfriedensbruch- und Widerstandsdelikte.

Angesichts der rückläufigen politischen Kriminalität fordert Benedikt Lux ein „Zeichen der Entspannung“: die Verlegung der Versammlungsbehörde weg von der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamts hin zur Direktion Einsatz oder der Polizeipräsidentin. Denn: „99 Prozent aller Demos haben keinen staatsgefährdenden Charakter. Und der staatsschutzrelevante Rest auch nicht wirklich.“

Wie lieb Rot-Rot-Gründie Demonstrationsfreiheit ist, kann die Koalition nächstes Jahr beweisen: Ein Versammlungsfreiheitsgesetz ist in Abstimmung: Fallen könnte dann etwa das Vermummungsverbot.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.