berliner szenen
: Was fürs Herz

Die Schüler*innen der zweiten Klasse stürmen an mir vorbei aus dem Raum. Ich betrete das Klassenzimmer, setze mich hinter das Lehrerpult und frage mich, was ich mir dabei gedacht habe, einen Workshop zu so großen Themen wie Liebe und Freundschaft anzunehmen. Die Lehrerinnenrolle ist eine Premiere für mich. Von Freundschaft habe ich vielleicht gerade noch Ahnung. Zu Liebe aber könnte ich selbst noch einen Kurs brauchen. Nach ein paar Minuten setzt sich ein kleines Mädchen vor mich und sagt: „Ich habe mich so auf diesen Workshop gefreut – Liebe und Freundschaft sind das Schönste!“ Auch die anderen drei Kinder, die kommen, sind in der Vorstellungsrunde enthusiastisch. Ich atme auf.

Sie erwarten sich gar keine Erklärungen von mir, sondern freuen sich einfach, sich in einem lockeren Rahmen mit Freundschaft und Liebe zu beschäftigen. Und haben zumindest von Freundschaft auch schon eigene Vorstellungen. Bei einem Spiel mit Fragekarten beantworten sie die Frage, ob sie an Freundschaft fürs Leben glauben, einstimmig mit nein. Der einzige Junge erklärt: „Ein Leben dauert doch ewig – in der Zeit verändert man sich.“ Auf die Frage, mit wie vielen Menschen sie befreundet sind, antwortet eines der Mädchen: „Mit 50.“ Als ich erstaunt nachfrage, wie sie so viele Freunde gefunden habe, beginnt sie alle Begegnungen aufzuzählen: „Eine habe ich in einem Supermarkt kennengelernt. Sie hat mich getröstet, als ich traurig war …“

Nach einer Weile unterbreche ich sie vorsichtig und frage, ob sie mit all diesen Freunden auch noch Kontakt habe. Sie entgegnet lächelnd: „Natürlich nicht. So viel Zeit habe ich doch nicht.“ Sie zeigt auf ihr Herz: „Aber sie sind alle hier.“ Am Ende der Stunde habe ich das Gefühl, in den nächsten Monaten werden wir noch viel voneinander lernen.

Eva-Lena Lörzer