der rote faden: Eine Welt ohne Gitarren ist wie ein Brexit ohne Humor
Durch die Woche mit Johanna Roth
Nach allem, was man hört, verlief der Auftakt des G19-Gipfels in Argentinien wie erwartet. Donald Trump und Wladimir Putin zankten schon vor Beginn des Gipfels, als Trump nämlich ein eigentlich geplantes Treffen mit Putin kurzfristig absagte, und das nicht per Telefon oder WhatsApp oder per diplomatischer Depesche wie anständige Menschen, sondern mal wieder per Tweet. Sei’s drum, ließ Putin daraufhin ausrichten, so habe er mehr Zeit für „nützliche Treffen“. Ätschibätschi!
Angela Merkel hätte die beiden schon auf Kurs gebracht; leider war sie selbst davon abgekommen. Technischer Notfall beim Regierungsflieger, und weil ein Weiterflug mit einer anderen Maschine die vorgeschriebenen Arbeitszeiten der Crew überschritten hätte, hockte die Kanzlerin am Freitagmorgen in einer Iberia-Linienmaschine. Bis aus den G19 wieder G20 werden konnten, hatte sie einen ganzen Tag Verspätung angehäuft. Muss kein schönes Gefühl gewesen sein: Die ganzen Streithammel wurschteln da im Alleingang an der Weltpolitik rum, und die Anführerin der freien Welt huscht erst zum gemeinsamen Abendessen unauffällig an den Tisch. Ich saß währenddessen seit frühmorgens mit ungeduldig zuckendem Finger am Schreibtisch, um pünktlich um 9 Uhr endlich auf „Purchase Tickets“ klicken zu können: An einem Freitag im Juli 2019 treten Bob Dylan und Neil Young im Londoner Hyde Park auf, mutmaßlich spielen sie auch ein paar Songs gemeinsam.
„A match made in heaven“, wie die Briten sagen würden, wenn die sich nicht nur recht verhalten darüber freuten, dass die halbe Welt wegen der zwei Amis bei ihnen einfällt, wo doch die Beatles UND die Stones … well. Jedenfalls: Superlativ der Superlative! Denn obwohl man nicht nach London reisen muss, um zwei schlechtgelaunte alte Männer auf einer Bühne zu erleben, sondern dafür auch auf eine beliebige CDU/SPD/Kultur/Mittelstands-Versammlung in einer deutschen Kleinstadt gehen kann, wäre ohne diese beiden die Musikgeschichte komplett anders verlaufen, hätte es circa ein Drittel der besten Lieder aller Zeiten nicht gegeben – und wäre die Gitarre heute womöglich ein zu vernachlässigendes Accessoire von Menschen, die sehr gut schreiben und einigermaßen singen können, und das wäre doch schade.
Bestmöglicher Konzertsommer also, gar keine Frage. Begehrtester deshalb auch. Mein Freund, gerade beruflich in den USA, kabelte quer durch 9 Zeitzonen aufgeregte Nachfragen zum Stand unseres Schicksals, während ich die Uhr anstarrte wie ein zu hypnotisierendes Kaninchen. Tatsächlich lief dann alles sehr deutsch ab: Man konnte schon um halb 9 auf den Link klicken, um sich in eine virtuelle Warteschlange zu stellen, die dann aber auf keinen Fall durch Schließen des Tabs, Husten oder andere unwillkürliche Bewegungen verlassen werden durfte, weil: Sonst stünde man wieder bei den Anfängern, die sich erst um 5 vor 9 einfinden würden. Tat ich natürlich nicht, langjähriges Training vor blutig umkämpften Berlinale-Ticketschaltern bereitet einen auf derartige Herausforderungen des späteren Lebens sehr gut vor.
Tickets haben wir jetzt also. Aber ob wir wohl einreisen dürfen (und wieder raus)? Schließlich wird der Brexit am 29. März 2019 effektiv. Zwar ist danach eine Übergangsphase bis mindestens 2020 festgelegt, in der sich praktisch erst mal gar nichts ändern soll, aber man weiß ja nie bei dem ganzen Chaos, das speziell die Briten in den letzten Wochen so veranstalteten. Hauptsache, ihnen kommt mit der EU der Humor nicht abhanden, aber ich sehe da keine Gefahr. Das Traditionsmagazin The Spectator kürte bei seinen alljährlichen „Parliamentarian of the Year“-Awards in dieser Woche auch zwei Personen für die „Resignation of the Year (Cabinet)“: die beiden gewesenen Brexit-Minister, David Davis und Dominic Raab. Schockierte Berichterstatter twitterten Fotos der beiden, wie sie etwas verkrampft grinsend ihre Urkunden präsentierten. So tief sei die britische Politik also schon gesunken, echauffierte sich Tony Blairs ehemaliger Sprecher Alastair Campbell: „Und die finden das alle auch noch lustig!“
Ich würde das nicht so eng sehen. So ein Award würde sicher auch die deutsche Politik auflockern, die sich ja unisono der „Erneuerung“ verschrieben hat, aber bis auf wenige Ausnahmen chronisch im eigenen Saft schmort, während sich die Wahlbevölkerung immer weniger dafür begeistern kann. Eine hübsche Urkunde samt entsprechender Fernsehöffentlichkeit könnte da doch Anreize setzen. „Comeback des Jahres“ an Friedrich Merz? „Parlamentsrede des Jahres“ an Angela Merkel, die neulich Alice Weidel mit so spitzem Spott auflaufen ließ, dass die sogar selbst lachen musste? Oder „Verlierer des Jahres“ an Thorsten „Ich lasse mir nicht das kaputtmachen“ Schäfer-Gümbel? Auswahl hätten wir also reichlich. Fehlt nur noch ein Veranstalter. Ist nicht der „Echo“ gerade in einer Sinnkrise?
Nächste Woche Nina Apin
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