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Der Fallensteller in der Falle

KOLONIALISMUS REVISITED Brett Bailey, Theatermacher aus Südafrika, kommt mit zwei Produktionen zu dem Festival „Foreign Affairs“. Ein Probenbesuch bei „Exhibit B“ im Kleinen Wasserspeicher

In seiner Arbeit kann Brett Bailey nie von der Frage absehen, wer schaut wen an

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Vier Tage bevor es losgeht, stehen die Hallen im Kleinen Wasserspeicher voller Transportkisten. Podeste werden gebaut, große Fotos von Dschungelbildern in Nischen eingepasst. Überall lugen Geweihe aus den Kisten, von Steinböcken und Antilopen, Jagdtrophäen aus Afrika. Man sieht Eisenketten und Fußfesseln, alte Gewehre und Kreuze. Musik von den Beatles läuft. Eigentlich eine lockere Stimmung. Wären da nicht die Fotos von gefesselten Sklaven, die noch auf dem Boden ausgebreitet sind. Hier wird „Exhibit B“ aufgebaut, eine Installation aus lebenden Bildern, Teil des Festivals „Foreign Affairs“.

Brett Bailey, Regisseur und Autor von „Exhibit B“, war glücklich, als er die Gewölbe des Kleinen Wasserspeichers an der Diedenhofer Straße kennenlernte. Denn sterile Theaterräume, Black Boxen, mag er nicht mehr. In Südafrika, wo er herkommt, hat er begonnen, in alten Fabriken und auf den Straßen von Kapstadt zu spielen – schon weil er dort auch ein schwarzes Publikum erreichen kann, das in die Theaterhäuser fast nicht hineinkommt. Bei „Exhibit B“ wird der Ort zum Teil der Inszenierung, die kathedral anmutenden Gewölbe des 19. Jahrhunderts vermitteln bald das Gefühl, sich zwischen den Stationen eines Kreuzwegs zu bewegen.

Gerade kommt eine beunruhigende Nachricht, die Darsteller aus Namibia haben ihre Visa nicht rechtzeitig erhalten. „Klärt das mit Barbara“ (der Produzentin), sagt Bailey zu einer aufgeregten Mitarbeiterin. Er zeigt auf ein Foto aus der Kolonialzeit, ein Dokument der Grausamkeit, aufgehängte Menschen an einem Baum, schwarz und ausgemergelt die Körper. Es wird später an der Wand eines Raums hängen, der das Schlafzimmer eines deutschen Offiziers in Südwest-Afrika darstellt. An das Bett wird eine Frau gefesselt sein, im lebenden Bild von einer Schauspielerin verkörpert. Jedes Detail in dem Raum ist Teil der Geschichte der dargestellten Frau, verweist auf ihren ermordeten Mann, ihr krankes Kind, ihre drohende Vergewaltigung durch den Offizier der Schutztruppen.

Das lebende Bild ist Theater ohne Worte. Die Geschichte, die Bailey mir erzählt, ist das Szenario, in dem die Schauspielerin gefangen ist. Sie darf sich nicht bewegen, nur über ihre Augen, die in einen Spiegel schauen, kommuniziert sie mit dem Publikum. „Das ist eine sehr harte Situation für die Schauspielerin“, weiß Bailey.

„Wir sitzen alle in der Falle von Stereotypen, von Narrativen, von Opferbildern“, sagt Bailey. Auch das Publikum geht bei ihm in die Falle, hat keine Wahl, als die Rolle des Voyeurs anzunehmen, der an Stationen der Zurschaustellung, der Ausbeutung, Erniedrigung und Ermordung vorbeigeht. Die Szenen der Ausstellung reichen bis zur Fremdenfeindlichkeit Europas heute, der Abwehr von Asylsuchenden. Flugzeugsessel sind im Wasserspeicher aufgebaut für Szenen von gewaltsamer, tödlich endender Deportation von Zurückgewiesenen.

Die Verteilung der Rollen für schwarz und weiß, in dieser Falle sieht sich Brett Bailey auch selbst, Nachfahre einer seit dem 17. Jahrhundert am Kap ansässigen Siedlerfamilie. Er ist einer der wenigen weißen Regisseure, der mit schwarzen Darstellern arbeitet, seit 15 Jahren mit der Company Third World Bunfight. Er hat sich auf Dörfern in Südafrika und in Haiti mit schwarzen Riten und Voodoo beschäftigt und in der starken Visualität seiner Inszenierung klassischer Stoffe (wie „Medeia“ und „Orfeus“) versucht, viel von dieser Kultur aufzunehmen.

Sein Erfolg damit brachte ihm Einladungen zu Festivals und Theatern in Europa. Und da fragte er sich plötzlich, „was mache ich hier eigentlich, ich, ein weißer Regisseur, der mit schwarzen Darstellern nach Europa kommt, um zu unterhalten?“ Das war der Punkt, an dem er sich mit den Völkerschauen auseinanderzusetzen begann, dem Exotismus im Blick auf das andere. Das Konzept für „Exhibit“ entstand, auch als Reflexion auf seine eigene Arbeit, die nie von der Frage absehen kann, wer schaut wen an. Seine lebenden Bilder waren zuerst (2010) auf die deutschsprachige Welt in Afrika bezogen, später erweitert um Szenen aus den Kolonien von Belgien und Frankreich.

Dass er nun in Berlin spielt, der Stadt, in der auf einer Konferenz die Kolonialmächte Afrika unter sich aufteilten mit Grenzen, wie mit dem Lineal gezogen –, dem Stück wächst da wieder etwas zu, ein Kontext, mit dem sich auch ein Symposium mit Studenten der FU im Rahmen von „Foreign Affairs“ befassen wird.

Brett Bailey ist zu „Foreign Affairs“ auch mit seiner Inszenierung der „Medeia“ eingeladen. Die Geschichte der Frau, die aus Liebe zu Jason ihre Heimat aufgibt, mit ihm in ein anderes Land geht, dann verraten und verlassen wird, ist von ihm schon in unterschiedlichen Kontexten interpretiert worden. Als er das Stück zuerst in Südafrika auf der Farm, auf der er aufgewachsen ist, inszenierte, ging es ihm dabei auch um die Thematisierung des Fremdenhasses in Südafrika – es war die Zeit, als ausländerfeindliche Gewalt zu Vertreibungen und Morden an anderen Afrikanern in den Armenvierteln von Johannesburg führte. Jetzt ist seine Medea eine in Europa angekommene Afrikanerin, für deren Geschichte ihm Bilder aus Frankreich, als in den Vorstädten von Paris die Autos brannten, als Folie dienten.

Brett Bailey ist ein weißer und gebildeter Südafrikaner, der um seine privilegierte Situation weiß. Und zugleich ist er ein Außenseiter im eigenen Land, einer, in dem viele den Repräsentanten der Besetzer und Eindringlinge sehen. Vielleicht ist auch das ein Grund, weshalb er so heftig im Keller zwischen den Leichen der Kolonialgeschichte scharrt.

■ „Exhibit B“, 29. September bis 3. Oktober im Kleinen Wasserspeicher, „Medeia“, 6., 7. + 8. Oktober im Haus der Berliner Festspiele

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