piwik no script img

Anne Haeming Der WochenendkrimiEin Drehbuch, grausam zeitgemäß, dessen Ton die stille Familienbeklemmung ist

Lenski (Maria Simon) und Raczek (Lucas Gregorowicz, Mitte) ermitteln grenzüber­greifendFoto: Oliver Feist/rbb

Die letzten zehn Minuten gehören zum Beklemmendsten, was die Sonntagabendkrimibranche lange gezeigt hat. Weil alles bröselt, was eine Familie über Jahrzehnte geglaubt und als Selbstbild von sich fest zementiert hat. Und die Vorurteile der Zuschauer*innen, sie zerbröseln gleich mit.

Es ist, als ob die erweiterte Familie in „Der Fall Sikorska“ in einen Strudel gerät, als das Au-Pair, das eben noch am sonnigen Samstagnachmittag badete, als nackte Leiche in einem Knäuel aus Algen in Frankfurt an der Oder an einer Boje hängen bleibt. Und schon zieht die Strömung an: rund um ihren Chef, den getrennt lebenden Vater Leo Heise (Jan Krauter), dessen Eltern – Vater Arzt (hervorragend unschuldig: Götz Schubert), Mutter (Lina Wendel) kümmert sich um die Praxis –, mit denen er in der Familienvilla im Grünen wohnt, den polnischen Ex-Mann der Mutter, Milena, die Tochter der polnischen Haushälterin (Amanda Mincewicz) und deren Freund Marcin (Filip Januchowski). Junge Frau, tot, nackt, Spermaspuren. Auf einmal tauchen Sedimentschichten auf, verschwundene Töchter, Anschuldigungen, die im Sande verliefen. Bis jetzt. Aus einem Fall werden mehrere. Und überall Männer, die nicht wissen, dass ein Nein ein Nein ist.

Mal abgesehen davon, dass diese grandiose Folge mit den Ermittlern Olga Lenski (Maria Simon) und Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) wirkt wie ein Beton-Lkw, der in Slow Motion gegen eine Wand fährt: Sie beweist aufs Neue, wie wunderbar gelassen europäisch diese deutsch-polnische Polizeiruf-Filiale arbeitet. Wie normal zwischen Polnisch und Deutsch gewechselt wird, wie selbstverständlich grenzüberschreitendes Teamwork ist.

Zum Glück gibt der Text das auch her. Sonst sind Drehbuchduos eher verdächtig. Aber mit Bernd Lange (der die grandiose „Goldbach“-Folge zum Auftakt des Schwarzwald-„Tatort“-Teams geschrieben hat) und Hans Christian Schmid („Das Verschwinden“, „Was bleibt“, „Lichter“) haben zwei zusammengearbeitet, deren Ton die stille Familienbeklemmung ist. Was, exakt so von Stefan Kornatz inszeniert, durchaus zur Nüchternheit passt, mit der Maria Simon und Lucas Gregorowicz ihr Ermittlerduo angelegt haben.

So wirkt die harmlose Fassade der Täter umso grausamer, sobald Risse auftauchen. Wenn klar wird, warum manche Männer so oft davonkommen. Und manche Frauen sich nicht trauen, den Mund aufzumachen. Trotz Beweisen. Grausam zeitgemäß.

RBB-Polzeiruf „Der Fall Sikorska“, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen