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Bernhard Pötter Wir retten die WeltDer Krisenfall: Liter Benzin für 1,53 Euro

Kaum ist der Vegetarier und größte CO2-Bekämpfer unserer Familie mal weg, gibt es Pasta à la Kohlenstoff: Spaghetti Carbonara. Unsere Tochter taucht die Kelle auf den Grund des Topfes, wo die Zwiebeln, der Schinken und die Sahne am dicksten sind. „So“, sagt sie voller Vorfreude, „ich hole mir jetzt die Bodenschätze.“

Na gut, Zwiebeln, Schinken, Sahne. Sonst hätte ich widersprochen: Klassische „Bodenschätze“, also Kohle, Öl und Gas sind ja das Gegenteil. Sie verpesten die Luft, treiben uns Richtung Katastrophe und sind inzwischen eher „Bodenflüche“. Unsere echten Bodenschätze dagegen sind Baumwurzeln, Regenwürmer, Bakterien und das ganze unsichtbare, aber lebenswichtige Krabbelzeugs unter uns. Der Boden, den wir jeden Tag mit Füßen treten, ist unser Fundament: Er bindet Kohlenstoff und gibt unserer Nahrung eine Grundlage.

Aber was machen wir mit diesen Preziosen? Seit 1945 haben die Böden weltweit massiv gelitten. Auf einer Fläche der Größe von China und Indien hat sich der Zustand des Ackerlands verschlechtert. Den kostbaren Boden verlieren wir für Straßen oder Gewerbegebiete, wo unter anderem die mit den Bodenfluch-Produkten betriebenen Autos gebaut werden. Völlig irre wird es, wenn wir die Schatztruhe voller wertvollem Ackerland wie etwa im Rheinland abbaggern, um den Bodenschatz, ähh … Klimakiller Braunkohle aus dem Boden zu holen. Und das dann – geht es noch verdrehter? – mit dem „Interesse der Allgemeinheit“ begründen. Die Zerstörung von Land, Umwelt und Atmosphäre liegt im Interesse der Allgemeinheit, obwohl man Strom inzwischen auch anders erzeugen kann?

Sie denken, es geht nicht irrer? Oh doch. In Deutschland haben die großen Flüsse (Hitzesommer! Trockenheit!! Klimawandel!!!) derzeit so niedriges Niedrigwasser, dass die Frachtschiffe nur noch gering beladen über die Flüsse schippern können. Weil sie Benzin und Diesel transportieren, wird der Brennstoff knapp und teuer. Hurra, rufen da die grünen Kapitalisten. Endlich regelt sich der Markt selbst! Umweltschäden machen Produkte aus Bodenflüchen teuer. Vormals „externe Schäden“ werden in den Preis einbezogen. Dafür kämpfen vernunftbegabte Ökonomen seit Jahrzehnten.

Leider haben sie die Rechnung ohne die Bundesregierung gemacht. Die kann natürlich nicht tatenlos zusehen, wenn der Kapitalismus mal in Richtung Öko funktioniert. Sie hat die staatliche Ölreserve freigegeben, um den Preis zu senken. Und deshalb mal eben 350.000 Tonnen Treibstoff auf den Markt geworfen.

Diese Reserve ist offiziell für „Krisenfälle“. Und was ist eine Krise? Die Regierung meint: Ein Liter Superbenzin für 1,53 Euro. Und nicht etwa der Klimawandel, der dadurch verursacht wird. Über diese Definition von „Krisenfall“ sollten wir mal dringend reden. Gleich, wenn wir den letzten „Bodenschatz“ endgültig wieder verbuddelt haben.

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