wortwechsel: „Mit Brutalität und Geschick entmachtet“
Einhundert Jahre alte Fragen: Was stellte die Novemberrevolution dar, welche Folgen hatte ihre Niederschlagung, welche Rolle spielte die Mehrheitssozialdemokratie dabei?
Weichgespülte Historie
„Es war eine Atmosphäre der Gewalt“, Interview, taz vom 9. 11. 18
Danke für das Dossier zum 9. November, ich habe sogar aus der Tageszeitung für mich neue, interessante Details erfahren. Nur das Interview mit Meik Woyke von der Friedrich-Ebert-Stiftung und Uwe Sonneberg von der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat mich unbefriedigt gelassen.
Hier wird ja auch das Thema „Verrat der Sozialdemokraten“ angesprochen und die Antworten bleiben erstaunlich nebulös. Es geht doch um die Novemberrevolution, und da ist es doch Fakt, dass Friedrich Ebert sich in den Rat der Volksbeauftragten, das Machtzentrum der Revolution, wählen lässt und zugleich lässt er eine geheime Leitung zur Obersten Heeresleitung (OHL) legen, ausgerechnet zu den bei den Arbeiter- und Soldatenräten verhassten Kriegstreibern, die all das Leid aus dem imperialistischen Krieg auf dem Rücken der Bevölkerung zu verantworten hatten. Wenn das kein Verrat ist!
Bei Richard Müller von den revolutionären Obleuten kann man nachlesen, wie Ebert von Anfang an mit zunehmendem Erfolg, mit Brutalität und Geschick versucht hat, die Arbeiter- und Soldatenräte wieder zu entmachten. Er setzte sich an die Spitze der Revolution, um sie abzuwürgen. Verräter!
Nach dem brutalen Abwürgen der Novemberrevolution gab es mit der Weimarer Verfassung wichtige Reformen, aber wie kann man sie feiern, ohne an das Ende mit Schrecken zu denken? Noch nicht einmal 15 Jahre hatte die Weimarer Republik Bestand und sie endete in der Übergabe der Macht an die Todfeinde jeglicher Demokratie 1933.
Und warum? Das steht doch heute schon in den Schulgeschichtsbüchern: Weil die Novemberrevolution nicht zu Ende geführt wurde: Die alten reaktionären Eliten in Verwaltung, Justiz und Militär wurden nicht angetastet. Die Justiz ließ die Nazis ungeschoren, und Militärführung, Hindenburg und andere alten Eliten feierten mit Hitler 1933 den „Tag von Potsdam“. Dahin hat das verräterische Abwürgen der Revolution von 1918 geführt.
Ob in der Rosa-Luxemburg-Stiftung nur solche weichgespülten Historiker wie Herr Sonnenberg zu finden sind? Es geht doch nicht um Mitgefühl für Rosa Luxemburg mit ihren enttäuschten Hoffnungen, sondern um die verhängnisvollen historischen Auswirkungen des Verrates an der Revolution durch Ebert und seine Gefolgsleute aus der Mehrheitssozialdemokratie.
Christoph Moericke, Berlin
Jede Träne eine Anklage
„Dem Untergang entgegen“, taz vom 9. 11. 18
Christina Morina zeichnet leider ein Zerrbild von der großartigen Humanistin und menschlichen Revolutionärin Rosa Luxemburg, indem sie Unwesentliches überhöht und Wesentliches weglässt. Wer Rosa Luxemburg wirklich war, erhellt ein kurzes Zitat von ihr selbst: „Eine Welt muss umgestürzt werden. Aber jede Träne, die geflossen ist, obwohl sie abgewischt werden konnte, ist eine Anklage.“
Adolf Claussen, Bremen
„Was hat er gesagt?“
„Fünf Fragen an die Revolution, II: Wie weit reicht eine Stimme ohne Megafon?“, taz vom 9. 11. 18
Martin Düspohl fragt sich in dem herausragenden Revolutionsbeitrag der taz, wie weit eine Stimme ohne Megafon reicht, und kommt zu keiner Antwort. Selbstverständlich hatten Redner in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Megafone aus Metall, die ihre Stimme weitertrugen, jedoch nicht die mit Batterie oder Strom, die wir heute kennen.
Wie man aber auch auf den Fotos sieht, hatten viele Redner eine solche Hilfe nicht. Die Demonstranten oder Zuhörer gaben die Redebestandteile an die hinteren Reihen weiter, die das Gesagte ebenso weitergaben, ganz nach dem Motto: „Was hat er gesagt?!“ Übrigens: Die wunderbare Werbung zur Panter Stiftung der taz zeigt eine Frau, die ein Papier-Megafon nutzt, um vom Wort zur Tat zu rufen.
Rolf Bergmeier, Köln
Angsthaus Altenheim
„Traumhaus Altenheim“, taz vom 8. 11. 18
Danke für diesen Beitrag. Es wird gut nachvollziehbar erklärt, wie Altenheime als „Lizenz zum Gelddrucken“ genutzt werden. Wobei in sehr vielen Fällen ausländische Investoren sich gerne an den Sozialkassen und Renten bereichern (zum Beispiel Korian-Heime: Curanum, Casa Reha und so weiter). In Braunschweig sollen 50 Prozent der Heime in privater Hand sein. Auch die Beschreibung der Grundrisspläne und der Verwirklichung entspricht weitgehend der Realität. Allerdings sind die meisten Zimmer 15 Quadratmeter groß. Mein Mann wurde in einem halben Einzelzimmer untergebracht mit 7,5 Quadratmetern, monatliche Unterkunftskosten, die von Selbstzahlern oder der Sozialkasse zu erbringen sind, 943 Euro. Die Heimleitungen (Angestellte) begründen dies damit, dass ihnen das Prinzip der maximalen Wirtschaftlichkeit bei der Heimführung aufgetragen wurde. Viele Altenheime wurden aus einer genossenschaftlichen Organisation in eine GmbH umgewandelt, mit teilweise katastrophalen Folgen für die BewohnerInnen und deren Angehörige. Dass Altenheime in Deutschland zu Traumhäusern werden, vor denen wir keine Angst haben müssen, wird zu meinen Lebzeiten (Jahrgang 1937) nur selten geschehen. Renate Wußing, Braunschweig
Ein Staat für Verfolgte
„Das Loyalitätsdilemma“, taz vom 14. 11. 18
Um die Besatzung und die Entdemokratisierung Israels zu kritisieren, ist es nicht nötig, die Frage aufzuwerfen, ob Jüdinnen und Juden „ausschließlich eine Religion“ oder ob Israel ein „jüdisch-ethnischer Staat“ ist. Auf der Welt existiert ein jüdisches Volk und in Israel eine jüdische Nation – in beiden Fällen Menschen, die sich als Jüdinnen und Juden ansehen und von anderen so angesehen werden, völlig unabhängig davon, ob sie religiös sind oder nicht. Eine Religion braucht keinen eigenen Staat, ein Volk, zumal eines, das jahrtausendelang verfolgt wurde, weil es keinen Staat hatte, schon.
Charlotte Wiedemann ruft: „Fahrt hin, seht es euch an!“; und meint damit die Schrecklichkeiten der Besatzung. Richtig so. Fahrt dorthin und fahrt nach China, nach Brasilien, nach Ägypten …
Nein, Kritik an Israel ist nicht per se antisemitisch, der Zweifel am Recht des jüdischen Volkes auf einen eigenen Staat in den Grenzen von 1967 ist es allerdings schon. Es genügt nicht, nur in einem kurzen Nebensatz zu schreiben: „Gewiss, Israel soll weiterhin potenzielle Heimstatt aller Juden sein.“ Wie denn?
Die bewundernswerte junge Frau, die einen israelischen Soldaten ohrfeigte, der auf ihr Grundstück eindrang, sagt heute, sie kämpfe für die „Befreiung ganz Palästinas“. Immer wieder ertönt die Forderung, alle Flüchtlinge von 1948 samt Nachfahren müssten zurückkehren können: 700.000, aus denen im Laufe der Jahre 4 Millionen geworden sind – was nichts anderes als den Garaus der „jüdischen Heimstatt“ bedeuten würde.
Jutta Schwerin, Berlin
Politisches Kalkül
„Schmutziges Spiel“, taz vom 14. 11. 18
Die finanzielle Unterstützung der westlichen Länder für die Palästinensische „Autonomie“-Behörde wird nicht aus Zuneigung geleistet, sondern aus politischem Kalkül. Seit dem Abschluss der Oslo-Verträge sollte sie unter anderem die Bildung staatlicher Institutionen im zukünftigen Staat Palästina fördern – doch seit dem Scheitern der Verträge und der sich immer weiter ausdehnenden völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungstätigkeit dient die Unterstützung nur noch der Beruhigung der Lage. Würde nichts mehr gezahlt, müsste Israel als Besatzungsmacht wieder alles selbst finanzieren. Die Unterstützung der Besatzungsmacht durch die Geberländer kann ebenfalls als schmutziges Spiel betrachtet werden. Anstatt realen Druck auf Israel auszuüben, wird lieber die Besatzung mitfinanziert. Manuela Kupola, Stuttgart
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