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heute in hamburg„Neid ist ein gemischtes Gefühl“

Foto: privat

Torsten Maul, 57, ist Psychoanalytiker und veranstaltet regelmäßig den Psychoanalytischen Salon.

Interview Alexander Diehl

taz: Herr Maul, jede und jeder dürfte schon mal Neid verspürt haben. Und doch bekennen sich Menschen selten dazu. Eine solche Regung aber zu leugnen – das arbeitet ihr zu, oder?

Torsten Maul: Neid ist ein intensives gemischtes Gefühl aus Wut, Traurigkeit, Aggression, Ohnmacht, das innere Voraussetzungen hat. Schon bevor der Neidaffekt auftritt, ist innerlich entschieden, was begehrenswert ist – und damit auch, was ich beneiden könnte. Zwischen Ich-Ideal (also dem, wie ich sein möchte) und Real-Ich (also dem, wie ich nun mal bin) ist oft eine Differenz, und daraus zieht der Neid seine Energie. Erst dann kommt die Außenwelt, anhand derer ich dann den Neid erlebe. Darum wird man Neid nie los, es sei denn, am Ich-Ideal ließe sich etwas ändern oder das Real-Ich ließe sich weiterentwickeln.

Was wäre denn ein besserer Umgang mit dieser – in christlicher Sicht – Todsünde?

Wenn Neid tabuisiert wird – schon von den Eltern lernen wir, dass wir nicht neidisch sein sollen – muss der Neider seinen Neid nicht nur gegenüber anderen geheim halten, sondern auch sich selbst. Um ihn nicht immer spüren zu müssen, kommt es zu einer Spaltung: Dann kann es sein, dass jemand neidisch handelt, ohne dass er selbst erlebt, neidisch zu sein. Besser ist, ich weiß darum und um meine Möglichkeiten und kann betrauern, was ich nicht erreichen kann – und mich freuen über das, was ich geschafft habe.

Wer Neid zugibt: Hat der nicht einfach nur zu wenig an sich selbst gearbeitet?

Psychoanalytischer Salon „Neid“ mit Sighard Neckel und Eckehard Pioch (Moderation: Torsten Maul): 20 Uhr, Thalia Nachtasyl.Eintritt frei

Wenn wir psychisch stark sind, ist Neid ein Signal und kann unsere Selbsterkenntnis erweitern: Wir erfahren durch ihn etwas über unser Begehren, unseren Ehrgeiz, unsere Idealvorstellungen, unser Gerechtigkeitsempfinden. Sind die Ziele, die dabei deutlich werden, erreichbar, können wir unseren Neid als ehrgeizig stimulierenden Neid nutzen. Einem unrealistischen Ziel gegenüber müssten wir, um zufriedener zu sein, einen Trauerprozess in Gang setzen. Das macht den Weg frei, zu erkennen, dass der Mangel kein umfassender ist und es noch andere Möglichkeiten der Weiterentwicklung gibt.

Macht uns jeder und jedes neidisch?

Neid ist ein Gefühl der nahen Distanz. Ich neide weniger dem großartigen Musiker seine Kunst als dem Nachbarn sein neues Auto – oder den Job, den ich auch gern hätte.

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