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Traum vom Tausendfüßler

Noch nie waren sie so nah dran, doch nach einer 10:29-Niederlage gegen Kanada müssen die deutschen Rugby-Nationalspieler die Teilnahme an der Weltmeisterschaft abschreiben

Aus MarseilleTobias Schächter

Am Ende sagten die Tränen mehr, als Worte ausdrücken können. Sean Armstrong, der 31 Jahre alte Gedrängehalb, weinte nach dem Abpfiff, sein großer Traum und der seiner Mitspieler von der WM-Teilnahme war geplatzt. Die deutsche Rugby-Nationalmannschaft hatte am Samstag im Stade Delort von Marseille gegen Kanada mit 10:29 verloren und besitzt nun keine Chance mehr, den letzten Platz fürs Weltturnier im Herbst 2019 in Japan zu ergattern.

Nur der Sieger des Vierer-Turniers in Südfrankreich fährt zur WM, theoretisch kann nun nur noch Hongkong am letzten Spieltag nächste Woche Favorit Kanada das WM-Ticket entreißen. Doch das ist unwahrscheinlich, auch wenn die vorwiegend britischen Spieler von Hongkongs Auswahl Samstagnacht auf ihrer kleinen Siegesfeier nach dem Erfolg gegen Kenia (42:17) im O’Malleys, einem Irish Pub im Hafen von Marseille, optimistisch ein paar Pints kippten.

Für die Deutschen gab es nur ein paar Frustbiere im Trainingsquartier in Aix-en-Provence, sie haben trotz des Auftaktsiegs gegen Hongkong auch mit einem Erfolg gegen Kenia zum Abschluss nächste Woche keine WM-Chance mehr. Den aufsehenerregenden Testspielsieg Irlands gegen Weltmeister Neuseeland am Abend im TV anschauen zu müssen, tat dann nur noch weh. Der Traum vom WM-Spiel gegen die „All Blacks“ hatte sich am Nachmittag in Luft aufgelöst; Neuseeland ist WM-Gruppengegner des Turniersiegers von Marseille.

Nie war das deutsche Rugby näher dran an der allerersten WM-Teilnahme in der 118-Jährigen Verbandsgeschichte. Aber Kanada war zu stark, auch wenn die Deutschen das Spiel lange offenhalten konnten, unterstützt von rund 300 lautstarken Fans aus der Heimat unter den 1.500 Zuschauern im kleinen Stade Delort, das direkt neben dem großen Fußballstadion von Olympique Marseille liegt.

Die beiden so unterschiedlichen Arenen in direkter Nachbarschaft standen sinnbildlich für die Lage des deutschen Rugby, das so gerne raus aus der Nische und hinauf auf die große Bühne will. Doch mit der gescheiterten WM-Qualifikation ist dieser Sprung für die Randsportart wieder schwieriger geworden. Viele Fragen sind nach einem turbulenten Jahr offen – nicht nur, was mit Trainer Mike Ford wird. Der prominente Engländer wurde ja eigens für die Marseille-Kampagne verpflichtet. „Die Enttäuschung ist jetzt erst einmal groß“, gab Martin C. Bornhofen, der Vizepräsident des Deutschen Rugby Verbandes (DRV), zu. Er ist erst im Juli zusammen mit Präsident Robin J. Stalker ins Amt gewählt worden. Zuvor hatte ein Zerwürfnis mit Großsponsor Hans-Peter Wild zum Rücktritt der alten Verbandsführung geführt und weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Der Milliardär aus Heidelberg hatte in den letzten 10 Jahren rund 20 Millionen Euro in die Förderung des Rugbysports im Land gesteckt; an seiner Wild-Rugby-Academy (WRA) sind Nationalspieler wie Sean Armstrong noch bis Ende November angestellt, dann schließt Wild die WRA.

„Die Enttäuschung ist erst einmal groß“

Martin C. Bornhofen, Vizepräsident des Rugby-Verbandes

Als Einzelkämpfer will sich der 77-Jährige nicht länger engagieren, er ist frustriert, weil der DRV mit der angestrebten Professionalisierung nicht Schritt hält. Auch sein Versuch, mit dem deutschen Serienmeister Heidelberger RK als „Wild-Titans“ ein international konkurrenzfähiges Vereinsteam aufzubauen, scheiterte am Einspruch des europäischen Verbandes. Wild gehört bereits der Pariser Großklub Stade Français. In Frankreich genießt Rugby jedoch einen ungleich höheren Stellenwert als hierzulande, Stade Français stemmt ein Jahresbudget von 34 Millionen Euro. Zwei Klubs zu unterstützen, gehe nicht, erklärte der europäische Verband. Auf dem Höhepunkt des Streits mit dem Verband bestreikten die Spieler der WRA sogar Länderspiele. Nun bezuschusste Wild die zehnwöchige Vorbereitung und das Turnier in Marseille mit der Hälfte der Gesamtkosten von 600.000 Euro und kündigte an, dem Verband bis 2024 zwei Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stellen zu wollen, sollte dieser drei weitere Sponsoren finden, die dieselbe Summe investieren. Das ist ein sehr zu ambitioniertes Ziel, zumal nach dem geplatzten WM-Traum.

Gerne würde der Verband sich finanziell breiter aufstellen, Alexander Michl, der Vorsitzende des bayerischen Rugby Verbandes, sagte am Samstag in Marseille: „Wir wären gerne ein Tausendfüßler, im Moment sind wir aber nur ein kleines Insekt.“

Der DRV bekommt vom Deutschen Olympischen Sportbund und dem Innenministerium nur Geld für die 7er-Variante, weil diese olympisch ist. Im 7er-Rugby will sich der DRV unbedingt für Olympia 2020 qualifizieren und ein Qualifikationsturnier im nächsten Jahr ausrichten. Großsponsor Wild aber ist ein Verfechter des 15er-Rugby. Dass Wild und DRV-Präsident Stalker, ein ehemaliger Adidas-Manager, am Samstag beim wichtigsten Spiel der Verbandsgeschichte in Marseille nicht vor Ort waren, will Bornhofen nicht als Zeichen „für irgendetwas“ werten, beide seien geschäftlich eingespannt gewesen, erklärte der Vizepräsident des Rugby-Verbandes.

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