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Zupacken statt zaudern

Florian Grillitsch nimmt beim Spiel der Hoffenheimer in Lyon eine Schlüsselrolle ein. Seine Entwicklung schreitet unter Trainer Julian Nagelsmann rasant voran

Aus Lyon Tobias Schächter

Irgendwann hat sich Florian Grillitsch dann vorgenommen, nicht mehr in Schönheit sterben zu wollen. Das hat er selbst einmal so gesagt, nachdem der eher stille Typ im Sommer 2017 vom SV Werder Bremen zur TSG Hoffenheim gewechselt war. Ein filigraner Techniker, der das schöne Spiel liebt, war er. Das schöne Spiel liebt auch Julian Nagelsmann, aber noch mehr liebt der Trainer der TSG den Erfolg. Nach ein paar Wochen nahm Nagelsmann diesen Grillitsch beiseite und erklärte ihm, dass er ohne mehr Wettkampfhärte nur schwer einen Platz in der ersten Elf finden könnte. „Er musste am Anfang ein bisschen geweckt werden, dass er nicht nur sauber kickt, sondern auch ein bisschen arbeiten muss“, sagte Nagelsmann damals und Grillitsch gab in der Rückschau zu: „Julian hatte ja recht, man muss nicht nur mit Ball, sondern auch gegen den Ball arbeiten.“

Knapp 14 Monate ist das jetzt her und aus dem 1,87 Meter großen, schlaksigen Zehner ist längst einer der auffälligsten Sechser der Bundesliga geworden, aus einem Zauderer ein Zupacker, der seine spielerische Klasse mit noch mehr Selbstvertrauen ausspielt. Ist Grillitsch fit, gehört er zu jenen, die gesetzt sind in Hoffenheims erster Elf. Nagelsmann hat in den letzten Wochen aufgrund der Belastung seine Startformation immer wieder verändert. Aber wenn die TSG an diesem Mittwoch zum entscheidenden Spiel um das Weiterkommen in der Champions League bei Olympique Lyon antritt, bietet er seine beste Elf auf. Und Florian Grillitsch ist dabei einer der großen Hoffnungsträger.

Die Begegnung in Lyon ist wie ein Finale für die Hoffenheimer. Die Badener belegen nach drei von sechs Spieltagen drei Punkte hinter Lyon und vier hinter Manchester City mit zwei Zählern den dritten Rang in der Gruppe, nur die beiden besten Mannschaften kommen weiter. Schachtjar Donezk ist mit nur einem Punkt Tabellenletzter. Sieht man von der 0:2-Pokalpleite in Leipzig ab, reist Hoffenheim mit dem Rückenwind von drei Liga-Siegen in Serie nach Frankreich. Im Hinspiel lieferten sich die beiden Kontrahenten beim 3:3 einen tollen Schlagabtausch, aber die ohnehin spielstarke Offensive von Olympique wird im Heimspiel von Weltmeister Nabil Fekir verstärkt, der in Hoffenheim gefehlt hatte.

Die Kontersicherung wird eine der Hauptaufgaben von Florian Grillitsch in der Mittelfeldzentrale sein. Dass er auch diese Facette seines Jobs beherrscht, hat der Österreicher schon oft bewiesen. Er kann den Rhythmus eines Spiels lesen und diesem seinen eigenen aufzwingen. So wie beim 2:2 zum Auftakt in der Champions League in Donezk, als Grillitsch als Torschütze und mit einer Passquote von 90 Prozent und 60 Prozent gewonnener Zweikämpfe als „Man of the Match“ ausgezeichnet wurde. „Ich will immer den Ball, da passt die Sechs“, sagt Grillitsch, der auch unter Druck ballsicher ist und robust Lösungen findet.

Nagelsmann fand im defensiven Mittelfeld für Grillitsch eine Position, die besser zu ihm passt

Wie für viele andere Spieler fand Nagelsmann für Grillitsch eine Position, die noch besser zu ihm passt. Aus dem Sechser Kevin Vogt hat der 31-Jährige einen spielmachenden Innenverteidiger gemacht, aus dem Linksaußen Steven Zuber einen variablen Verteidiger und Achter. Und in der Mittelfeldzentrale formte er aus dem Zehner Sebastian Rudy einen spielstarken Sechser. Die Entwicklungen von Rudy, mittlerweile über Bayern beim FC Schalke gelandet, und Grillitsch sind vergleichbar. Beide agierten einst als Zehner und Achter oft ähnlich unentschlossen und mit der Ausstrahlung eines scheuen Rehs. Doch beide haben nicht nur an Entschlossenheit im Zweikampf gewonnen, sondern auch eine viel selbstbewusstere Körpersprache angenommen.

Den mutigen Nagelsmann zeichnet neben seiner Flexibilität vor allem aus, seine Erfolgsbesessenheit auf seine Spieler zu übertragen. Florian Grillitsch sagt: „Ich habe durch Julian einen anderen Blick auf den Fußball gewonnen.“ Ablösefrei aus Bremen gekommen und mit einem Vertrag bis 2021 ausgestattet, hat sich der Niederösterreicher nicht nur in der Natio­nalmannschaft seiner Heimat mittlerweile einen festen Platz erspielt. Schon diesen Sommer lockten namhafte Klubs, der AC Milan zum Beispiel. Jüngst prophezeit Nagelsmann dem erst 23 Jahre jungen Grillitsch bei anhaltender Entwicklung „eine große Karriere“. Vor einem Jahr hätte dieser Satz noch ziemlich fantastisch geklungen. Heute, vor dem Cham­pions-League-Spiel der TSG Hoffenheim bei Olympique Lyon, nicht mehr.

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