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Was alle wollen und was doch nicht kommt

Seit sechs Jahren wird erbittert um die Frage gestritten, wie an lesbische Gefangene des KZ Ravensbrück erinnert werden soll. Jetzt gibt es eine – wiederum umstrittene – Entscheidung: Es gibt so lange kein Gedenken, bis sich alle einig sind

Krematorium im KZ Ravensbrück: vorn Frauenskulpturen von Will Lammert Foto: Michael Gottschalk/photothek

Von Klaas-Wilhelm Brandenburg

Es ist ein trauriger Superlativ, der am ehemaligen Konzentrationslager Ravensbrück haftet: größtes Frauen-KZ des damaligen Deutschen Reiches. 120.000 Frauen und Kinder waren zwischen 1939 und 1945 hier inhaftiert, außerdem 20.000 Männer und 1.200 weibliche Jugendliche im von den Nazis so genannten „Jugendschutzlager“ Uckermark, das zu Ravensbrück gehörte. Es sind unvorstellbare Zahlen – zu groß, um auch nur annähernd das Grauen zu erfassen, das sich sechs Jahre lang hier abgespielt hat. Doch während diese Zahlen historisch gesichert sind, herrscht über andere völlige Unklarheit: Wie viele der im KZ gefangenen Frauen liebten andere Frauen, wie viele waren deshalb überhaupt im KZ?

Es sind diese Fragen, die seit Jahren für Streit sorgen – und zwar darüber, wie man der lesbischen Frauen, die im Nationalsozialismus in Konzentrationslager verschleppt wurden, angemessen gedenkt. Dabei sind sich alle Beteiligten einig, dass es in Ravensbrück ein Gedenken geben soll, und wissen auch schon, wie: mit einer Gedenkkugel.

Aber welcher Text auf dieser Kugel stehen soll, darüber gibt es bis heute keine Einigung.

„Lesbische Beziehungen waren kein offizieller Grund, warum Frauen in Ravensbrück inhaftiert waren“, meint Axel Drecoll, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, die für Ravensbrück zuständig ist. Das sei auch die Position der Fachkommission, die eines von zwei wichtigen Gremien der Stiftung ist. Einige Historiker*innen dagegen betonen, dass lesbische Frauen – anders als schwule Männer – von den Nazis zwar nicht wegen eines konkreten Gesetzes verfolgt wurden, aber ihr Lesbisch-Sein ein Faktor war, der dazu beitragen konnte, im KZ zu landen.

„Lesbische Frauen galten als ‚entartet‘ und wurden als ‚asozial‘, als widerständig und verrückt und aus anderen Gründen verfolgt und ermordet“, will darum die Initiative „Autonome feministische FrauenLesben aus Deutschland und Österreich“ auf die Gedenkkugel schreiben – und hat es sogar schon getan: Am 19. April vor drei Jahren legte sie zum 70. Jahrestag der Befreiung Ravensbrücks eigenmächtig eine Kugel mit dieser Inschrift im ehemaligen KZ nieder. Die Stiftung entfernte sie daraufhin, weil sie offiziell nicht genehmigt war. Ein anderes Mahnmal ließ seitdem auf sich warten.

Aber vor Kurzem schien es so, als habe dieses Warten endlich ein Ende. Der internationale Beirat, neben der Fachkommission das zweite Gremium der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, beschloss in seiner letzten Sitzung mit einer Mehrheit von sechs zu vier Stimmen die Inschrift: „Den lesbischen Frauen unter den Häftlingen der verschiedenen Verfolgtengruppen“. Diese Inschrift ging auf einen Antrag des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg (LSVD) zurück – davor hatte es in den sechs Jahren der Debatte kein Antrag geschafft, eine Mehrheit für eine Inschrift im Beirat zu bekommen. Trotzdem wurde der Antrag von der Stiftung abgelehnt – und für den LSVD hagelte es Kritik.

Heftige Auseinandersetzungen

Die kam vor allem von lesbischen Aktivistinnen, denn ihnen ging der Textvorschlag nicht weit genug. Der Grund: Der LSVD akzeptiert die Sicht der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und hat seine Zeilen entsprechend formuliert, was in den queeren Communitys – also unter Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen – schon vorher zu teils heftigen Auseinandersetzungen geführt hatte. Birgit Bosold, Vorständin des Schwulen Museums in Berlin, stellt deshalb in Frage, „ob der LSVD die richtige Organisation ist, die Interessen der queeren Communitys in den Gremien der Gedenkstätten zu vertreten. Ich persönlich fühle mich auf jeden Fall durch den LSVD nicht vertreten.“

Die Zerwürfnisse in der queeren Szene führt die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten wiederum als einen Grund an, warum sie den Antrag des LSVD – obwohl er im Stiftungsbeirat eine Mehrheit bekam – abgelehnt hat: „Solange es keinen Konsens der Antragssteller über die Inschrift gibt, sondern weiter darum gestritten wird, wollen wir keine Inschrift beschließen“, so Stiftungsdirektor Axel Drecoll. So habe es auch die Fachkommission empfohlen. Dass es keinen Konsens gab, habe sich allein schon durch eine Sache ganz deutlich gezeigt: „Neben dem Antrag des LSVD gab es vier weitere.“ Alle wollten eine andere Inschrift als die des LSVD, alle wurden – genauso wie der Antrag des LSVD – von der Stiftung abgelehnt.

„Natürlich hat das Wort des Beirates sehr hohes Gewicht“, erklärt Drecoll. „Aber die Entscheidung trifft die Stiftung.“ Der Beirat habe nur beratende Funktion, genauso wie die Fachkommission. Auch diese Kommission sei ein Grund für die Ablehnung des LSVD-Antrags gewesen, denn sie hatte sich für eine andere Inschrift ausgesprochen: „Den lesbischen Frauen aller Haftgruppen.“ – „Obwohl die Formulierung der Fachkommission auf den ersten Blick der des LSVD sehr ähnlich ist, meint sie doch etwas anderes“, so Drecoll – was gerade bei einem so sensiblen Thema von großer Bedeutung sei.

„Sich jetzt an diesen Begrifflichkeiten aufzuhängen, ob es ein Gedenken gibt, halte ich für vorgeschoben“, meint dagegen Jörg Steinert, Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg. „Es gibt keine inhaltliche Differenz zwischen Fachkommission, Beirat und LSVD.“

Die Konsequenz des LSVD aus der Ablehnung seines Antrags: Er zog ihn zurück. „Die Debatte könnte noch jahrelang geführt werden, weil die Stiftung die Mehrheitsentscheidung des eigenen Beirates nicht eins zu eins umsetzen will“, fürchtet Steinert. Der LSVD wolle aber nach sechs Jahren Debatte nun endlich eine Lösung: „Wir lassen uns von der Stiftung nicht als Scheinargument vorschieben.“ Jetzt sei die Stiftung am Zug.

Denkpause scheint angeraten

Zehntausende starben in Ravensbrück

Im Frühjahr 1939 wurden die ersten Frauen aus anderen Konzentrationslagern ins brandenburgische Ravensbrück verlegt. Das dortige KZ lag nahe der Kleinstadt Fürstenberg, fast an der Grenze zu Mecklenburg und direkt am Schwedtsee, in den die Asche etlicher Menschen geschüttet wurde, nachdem sie im KZ-Krematorium verbrannt wurden. Zehntausende Menschen starben in Ravensbrück an Hunger, Krankheiten oder medizinischen Experimenten, wurden von den Nazis vergast oder auf andere Weise gezielt ermordet.

Bis 1945 wurde Ravensbrück stetig erweitert und sollte so schließlich zum größten Frauen-KZ auf deutschem Gebiet werden. Ab April 1941 gab es dort auch männliche Gefangene, allerdings nur etwa ein Sechstel so viel wie Frauen. Unabhängig davon, ob Mann oder Frau, mussten die Häftlinge Zwangsarbeit leisten – im Lager selbst genauso wie neben dem KZ-Gelände, wo die Firma Siemens & Halske eigens dafür 20 Werkhallen errichtete.

Am 30. April 1945 wurde das KZ Ravensbrück von der Roten Armee befreit. (kwb)

Die Stiftung sieht allerdings den Ball im Spielfeld der verschiedenen Antrag­steller*innen und rät zu einer „Denkpause“, wie Axel Drecoll sagt: „Wir fordern die Initiativen auf, sich auf einen Widmungstext zu verständigen, der den bisherigen Diskussionsprozess berücksichtigt.“ Die Stiftung wolle das Thema weiter bearbeiten und plane perspektivisch eine Ausstellung über lesbische Gefangene im KZ – wie schnell, ist allerdings offen: „Wir müssen uns jetzt erst mal mit den Fragen auseinandersetzen, wie wir so eine Ausstellung konzipieren und was für ein Begleitprogramm möglicherweise dazukommen könnte.“ Auch die Finanzierung sei noch nicht geklärt.

Es gibt also noch viele offene Fragen – zum Beispiel, ob eine Ausstellung dafür sorgen kann, dass sich bisher unversöhnlich gegenüberstehende Akteure plötzlich an einem Strang ziehen. Dagegen spricht nicht nur der jahrelange Streit, sondern auch Entwicklungen in der jüngsten Vergangenheit. So wurde Mitte Oktober eine interne E-Mail des LSVD geleakt. Die ist zwar schon ein Jahr alt, ihr Inhalt aber trotzdem explosiv: Denn in ihr nennt Ulrich Keßler, der im Vorstand des LSVD Berlin-Brandenburg sitzt, einige Aktivistinnen, die sich seit Jahren für eine Gedenkkugel einsetzen, Krawalllesben.

Mitglied des LSVD-Vorstands ist Keßler trotzdem bis heute. „Ulrich Keßler hat diese Äußerungen schon vor über einem Jahr bedauert, und damit ist angemessen darauf reagiert worden“, meint LSVD-Geschäftsführer Jörg Steinert. Ohnehin könne Steinert Keßler nicht absetzen, denn der Vorstand wird demokratisch von der Mitgliederversammlung des LSVD gewählt – oder eben abgewählt. Und Steinert betont: „Ulrich Keßler wurde auf der letzten Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit im Amt bestätigt.“ Die allerdings war lange vor der Veröffentlichung der Mail.

Wenn Keßler auf der kommenden LSVD-Mitgliederversammlung erneut wiedergewählt wird, könnte das also für den nächsten großen Zoff sorgen. Dabei hinterließ schon der aus der Mail und ihrer Veröffentlichung entstandene „Krawalllesben-Streit“ tiefe Klüfte zwischen den verschiedenen queeren Communitys. Das alles dürfte eine Einigung über das Gedenken in Ravensbrück nicht leichter machen oder gar wahrscheinlicher.

Wenn sich an der verfahrenen Lage nichts ändert, ist wohl nur eines sicher: Bis eine Gedenkkugel für lesbische Gefangene in Ravensbrück kommt, werden noch Jahre vergehen – und das, obwohl sie eigentlich alle wollen.

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