Was für ein Kerl!

Josef Straßberger ist ein bayerisches Mannsbild, und was für eins: Er wird 1928 Olympiasieger im Gewichtheben und erfolgreicher Gastwirt und Hotelier

Von Andreas Lechner

Als 1918 der Krieg verloren ist, kehrt Josef Straßberger nach Kolbermoor bei Rosenheim zurück und tritt unter den Türrahmen der Gastwirtschaft, wo die Alten am Stammtisch sitzen und die Weltenlage diskutieren: „Ja kennsts mich nimmer, oder was ist, ich bin’s, kein Geist, ich bin wieder da!“ Fassungslos schaute alles auf den Heimkehrer.

Josef Straßberger wurde 1894 auf einem kleinen Bauernhof an der Landstraße zwischen Bad Aibling und Kolbermoor geboren. Früh widmete er sich dem Gewichtheben, tritt 1914 auf einem Kraftsportfest im österreichischen Wörgl auf und wird dort von einer Sportdelegation des TSV 1860 München entdeckt, die ihn für den Aufbau ihrer Kraftsportabteilung holen will. Doch nach dem Kronprinzenmord von Sarajevo muss er als Richtkanonier im „1. Bayerischen Fußartillerie-Regiment“ an die Front, wird im Schützengraben verwundet und erhält das Eiserne Kreuz für seine Tapferkeit, weil er allein einen Brückenkopf vor den anstürmenden Franzosen verteidigt.

Schon bald nach seiner Rückkehr heiratet Straßberger seine Jugendliebe Marie und zieht mit ihr nach München, um sich seiner Sportkarriere bei den Sechzigern zu widmen. Das junge Ehepaar erlebt das Scheitern der Räterepublik, die junge Weimarer Republik, die Goldenen Zwanziger und das Erstarken des Nationalsozialismus. Als die Tochter Frieda am 1. Mai 1926 geboren wird, sind Straßbergers erste Worte: „Da hast dir ja einen schönen Tag ausgesucht, nix wia geschossen ist da worden.“

Hier in der Stadt ist es für die jungen Eheleute nicht leicht, sich politisch zu orientieren. In Kolbermoor war das recht einfach. Man war katholisch, und regiert hat ein König. Aber jetzt? Den einen wäre es am liebsten, die Monarchie kommt wieder zurück, die anderen rufen die Weltrevolution aus. Bei einer Tasse Muckefuck und gedecktem Apfelkuchen sitzen sie in einer Arbeiterwohnung der E-Werke in Giesing beisammen und besprechen die Vorkommnisse. „Aus der Politik am besten raushalten“, ist die Devise, „man weiß ja nie, mit wem man es einmal zu tun bekommt“, und Marie pflichtet ihm bei. „Ja, da hast du recht: Sollen sich die Roten und die Weißen doch selber die Köpf’ zammhauen.“ So versuchten sie, sich nicht den Weg in die Zukunft zu verbauen, um auch etwas vom Kuchen des Fortschritts und Aufblühens in den Zwanzigern abzubekommen.

Verbissen trainiert Straßberger beim TSV 1860 und wird zum ersten mal Deutscher Meister im Gewichtheben, zwölf weitere Titel folgen. Er wird Weltmeister – sammelt Pokal um Pokal. Noch in den 20er Jahren übernimmt er das Hotel „Münchner Hof“ in der Dachauer Straße und eröffnet das Apollo-Theater wieder, wo die Humoristen der Stadt auftreten und Karl Valentin mit Liesl Karlstadt wochenlang bei ausverkauftem Saal die „Orchesterprobe“ spielt.

Siegesfeier im Kaisersaal

Seine größte Stunde erlebt Straßberger 1928 bei den Olympischen Spielen in Amsterdam: Er gewinnt Gold im Schwergewicht. Am Münchner Hauptbahnhof wird er stürmisch und frenetisch empfangen, auch Paul von Hindenburg ist aus Berlin angereist und fährt mit ihm im offenen Wagen zur Siegesfeier im Kaisersaal und wird bejubelt – er ist nun berühmt und eine Persönlichkeit. Der Kraftsport ist in dieser Zeit populär, weniger der Fußball. Auch ist man froh, dass man nach dem verlorenen Krieg wieder bei einer Olympiade teilnehmen darf. Er ist in der Münchner Gesellschaft angekommen und genießt dies.

Bei seiner zweiten Olympiateilnahme, 1932 in Los Angeles, muss Straßberger einen herben Verlust hinnehmen. Es war die Zeit der Prohibition, und bei der Einreise in die USA per Atlantik-Dampfer wurde ihm seine Flasche Cognac aus dem Reisegepäck gestohlen. Somit fehlte ihm das obligatorische Stamperl zur Wettkampfvorbereitung, ebenso wie das verschwundene Muskelöl. Der Routinier, 38 Jahre nunmehr, gewann im Dreikampf immerhin Bronze, doch wird es für ihn seine größte sportliche Niederlage.

Von der Sportszene konnte Straßberger auch nach seinem Karriereende nicht lassen. Beim TSV 1860 München machte er sich als Mäzen verdient; wenn die Fußballspieler nach einem Match in den „Münchner Hof“ kamen, spendierte der Wirt jedem eine warme Mahlzeit und eine Maß Bier. Straßberger, Gastronom und Hotelbesitzer, war wohlhabend geworden, ließ sich im Frack in den feineren Kreisen blicken, ihm gehörten in Daglfing sechs Rennpferde, die Tochter wurde von einem Kindermädchen betreut. Dem Meister ging es bestens.

„Schnell in den Keller. Schnell. Die Engländer sind schon über dem Ärmelkanal und über Hamburg schon durch. Sie fliegen auf München zu. Es sind Hunderte.“ Josef Straßberger schreit das laut durch das Treppenhaus seines Hotels „Münchner Hof“. Und zusammen mit der Belegschaft stürmt die Familie am 7. Januar 1945 in den zum Luftschutzraum umgebauten Keller. Dann ein einminütiger Dauerton. Endlich Entwarnung. Jetzt heißt es nur noch raus aus der stickigen, staubigen Enge des Kellers. Oben, schwere Rauchschwaden und Feuer, wohin man auch blickt. Jetzt gilt es zu löschen, was noch zu löschen ist. Doch die Hydranten sind vereist in dieser Nacht. Unermüdlich rettet Straßberger alle aus dem einstürzenden Haus. Dabei verliert er seine Goldmedaille in den Flammen. Und es soll noch mehr Unheil kommen in dieser klirrend kalten Nacht. Vom Hotel „Münchner Hof“ bleibt nur ein rauchender Trümmerhaufen übrig. Tagelang sucht Straßberger seine Goldmedaille verzweifelt in den Trümmern. Doch die Plakette mit der Siegesgöttin blieb für immer verschwunden.

Andreas Lechner ist der Enkel von Josef Straßberger. Der Musiker, Schauspieler, Literat und Filmemacher hat seinem Großvater einen Roman gewidmet. „Heimatgold“ erscheint im Frühjahr 2019 im Münchner Volk Verlag