: Die Schufterei der Wissensarbeiter
Vielarbeit greift um sich, die Grenzen zur Arbeitssucht sind fließend, warnen manche Wissenschaftler. Denn noch werden Workoholics mehr belächelt als bedauert. Doch gute Antworten auf das Phänomen werden noch gesucht – zumal individuelle Entlastungsstrategien nur bedingt greifen
taz: Sie sind Ökonomin und haben mit Ihrem kleinen Institut für sozialökonomische Handlungsforschung, Seari e.V., die betriebliche Kultur der Vielarbeit untersucht. Wer ist besonders betroffen?Dr. Sabine Wolf: Besonders anfällig sind die so genannten „Wissensarbeiter“. Das hat man schon länger vermutet, aber belegen lässt sich das jetzt anhand unserer letzten Studie „Stress und Arbeitssucht“ für die Hans Böckler Stiftung. Vor allem außertariflich Angestellte in gehobenen Positionen arbeiten vielfach freiwillig über 40 Stunden pro Woche. Wir zeigen das am Beispiel mehrerer bremischer Großbetriebe auf, in denen wir unsere Befragung im Auftrag der Böckler-Stiftung durchgeführt haben – bei Flugzeugherstellern, Satellitentechnikern, Energieerzeugern.
Was steckt hinter Vielarbeit? Ein despotischer Chef – oder doch auch Lustgewinn?Die Ausgangshypothese der Gewerkschaften können wir nach unserer Auswertung nicht bestätigen: Es ist nicht „das böse Kapital“, das die Menschen zur Arbeit zwingt – sondern auch die Begeisterung der Beschäftigten an ihrer Arbeit. Weniger Kontrolle und mehr Freiheit, die Arbeitszeit einzuteilen, das gibt auch Befriedigung. Obwohl Familie und Kinder, Freizeit also, doch sehr kurz kommen. Das sehen die von uns befragten Männer in den technischen Berufen sehr deutlich als Defizit. Interessant ist übrigens auch, dass, wo Betriebsräte dagegen einschreiten, wenn die gesetzliche Obergrenze von 10 Stunden täglich oft überschritten wird, die Betroffenen die Arbeit einfach mit nach Hause nehmen. Da sammeln sich während längerer Projektarbeitszeiten enorm viele Überstunden an, die nicht genommen werden.
Aber es droht doch auch der Burnout. Ja. Aber der Druck, den transportieren die Beschäftigten vielfach selbst. Da schleppt sich mancher krank zur Arbeit, weil er weiß, dass sonst nur ein Kollege da wäre. Das führt zur Überforderung – die Betroffene leider oft mit dem Gebrauch von Suchtmitteln kompensieren.
Erkennt man beim Betreten eines Betriebes: Diese Leute sind anfällig für Vielarbeit?Nein, das merkt man erst im Gespräch. Erschwerend kommt hinzu, dass der Begriff Workoholic in Deutschland positiv besetzt ist – obwohl er von der Wirkung her einer Sucht gleich kommt. Befördert wird dies von modernem Arbeitsmanagement, starkem Konkurrenzdruck und einer individuellen Prädisposition. Das heißt, jemand, der viel Bestätigung sucht, neigt eher zur Vielarbeit. Hinzu kommt heute eine große Angst vor Arbeitsplatzverlust.
Wie schädlich ist es, zu viel zu arbeiten? Das kann man so nicht beantworten. Aber sagen kann man sicher, dass die Menschen sowas nicht ein ganzes langes Leben durchhalten.
Was würden Sie Personen empfehlen, die unter einem Vielarbeitsklima leiden?Es gibt zwei Möglichkeiten: Einmal individuelle Entlastungsangebote wie Sport-, Entspannungs- und Rückenschulen wahrzunehmen, die jedenfalls kurzfristig Linderung bringen können. Interessanterweise nehmen das aber vor allem die fitten Mitarbeiter wahr. Für betriebliches Eingreifen gibt es auch Ansatzpunkte. Nach einer EU-Richtlinie muss man heute beispielsweise Gefährdungsbeurteilungen für Arbeitsplätze abgeben, die durchaus psychische Belastungen einbeziehen. Dafür müssen arbeitsaufgabenbezogene Belastungen ermittelt und beurteilt werden. Aber das macht offenbar niemand – jedenfalls nicht in den von uns befragten bremischen Großbetrieben. Dabei wäre das ein guter Ansatz, auf der betrieblich-gesellschaftlichen Ebene die Problematik anzugehen und daraus eben auch Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Ansätze für ein systematisches Coaching wären mir in diesem Gebiet neu.
Sind Ihnen Chefs begegnet, die das Klima der Vielarbeit problematisieren und Instrumente suchen, um damit umzugehen?Wir haben mit einem Arbeitsdirektor gesprochen, der das als eines der ganz großen Probleme begreift. Gäbe es Mittel, um Überlastung frühzeitig festzustellen, wäre er sehr interessiert.
Wo können sich Einzelne, die das als Problem erleben, hinwenden? Die Beratungsstelle gegen Arbeitssucht gibt es in Bremen doch noch nicht? Suchtberater meiden das Thema bislang, weil Arbeitssucht medizinisch nicht anerkannt ist. Wir sprechen deshalb von Vielarbeit. Die Antwort für die Einzelnen ist schwierig zu finden. Sie müssten individuell getroffen werden – wohl bis hin zu einem Arbeitsplatzwechsel.
Fragen: Eva Rhode
Öffentlicher Vortrag (für Frauen) zum Thema am Montag, 29. August, 20 Uhr Hinter dem Schütting 6.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen